dodis.ch/43053
Die schweizerische Delegation an der zweiten Haager Friedenskonferenz an den Bundespräsidenten und Vorsteher des Politischen Departementes,
E. Müller1
Scheveningen, 5. Oktober 1907
Heute fand die Schlussitzung der III. Kommission statt; das ganze Projekt einer Konvention betr. die Rechte und Pflichten der neutralen Staaten im Seekriege wurde artikelweise durchberaten. Den Text der Konvention sowie zweier Zusatzanträge senden wir Ihnen in besonderer Verpackung.
Sämtliche Artikel wurden angenommen und zwar ausser 12 und 23 durch stillschweigende Zustimmung; die deutschen Zusatzanträge wurden verworfen, das russische Amendement dagegen angenommen. Eine Abstimmung über das Ganze wurde unterlassen, da das Resultat fraglich erschien, indem eine Reihe von Delegationen, deren Zustimmung wesentlich ist, bei einzelnen besonders wichtigen Artikeln Vorbehalte machten, insbesondere Japan, Deutschland und Russland. Der britische Delegierte erklärte, dass seine Regierung, in Anbetracht der Wichtigkeit der Konvention, diese noch einer sehr genauen Prüfung unterwerfen müsse; aus dem gleichen Grunde nahm die amerikanische Delegation eine rein abwartende Stellung ein.
Die Konvention würde, wenn von den meisten in Betracht kommenden Staaten ratifiziert, eine sehr erhebliche Verbesserung des gegenwärtigen Rechtszustandes bewirken und zwar speziell im Interesse der Neutralen, deren Pflichten nicht nur praecisiert, sondern auch auf das mit Rücksicht auf die berechtigten Interessen der Kriegführenden unumgängliche Maass reduziert sind. Durch die Beschränkung der den Schiffen der Kriegführenden gestatteten Benützung neutraler Häfen und Gewässer ist die Konvention namentlich den neutralen kleineren Seestaaten wertvoll, ebenso wie den Seemächten, die, wie Grossbritannien und Japan, die Neutralität nicht nötig haben, weil sie zahlreiche Flottenbasen haben oder ihre Seekriege in der Nähe ihrer natürlichen Operationsbasis führen. Sozusagen unvereinbar mit den Interessen dieser Staaten sind diejenigen Deutschlands und Russlands, deren Flotten, mangels der Möglichkeit der Verproviantierung und Kohlenaufnahme in neutralen Gewässern, einen sehr verminderten Aktionsradius haben. Diese Staaten sehen sich deshalb gezwungen, für den Seekrieg einen ändern, weniger strengen Begriff der Neutralität aufzustellen als für den Landkrieg. Ob durch diplomatische Verhandlungen bis zur Plenarversammlung noch die wichtigsten Differenzen auszugleichen sind, bleibt abzuwarten. Aber auch wenn diesmal kein positives Resultat erzielt werden kann, so wird doch die vorliegende Konvention für eine spätere Konferenz eine wertvolle Grundlage der Verhandlungen schaffen.
Unsere Delegation hat sich der Stimme enthalten aus den in der in Kopie beigeschlossenen Deklaration2 ausgeführten Gründen.