dodis.ch/42803
Le Ministre de Suisse à
Rome,
G. Carlin, au Président de la Confédération et Chef du Département politique,
J. Zemp1
Vertraulich
Rom, 9. April 1902
Meinem chiffrierten Telegramm2 und meinem rekommandierten Schreiben von heute Nachmittag3 beehre ich mich folgende Bemerkungen beizufügen:
Wie vorauszusehen war, hat Prinetti nicht nachgegeben und behandelt mich ganz gleich wie der Bundesrat Herrn Silvestrelli behandelt. Er hat mich offiziell wissen lassen4, dass das Ministerium des Äussern seinen amtlichen Beziehungen mit mir ein Ende setze. Die Partie steht nun wie vorher; es wird Zug um Zug weiter gespielt. Hätte der Bundesrat meinem Antrag Folge gegeben, mich vorläufig, als ich zum zweiten Male in Bern war, nicht auf meinen Posten zurückkehren zu lassen, so wären wir wahrscheinlich auf diesem Wege Silvestrelli los geworden. Prinetti will offenbar die Verantwortung eines Bruches zwischen den beiden Staaten, der ja bisher glücklicherweise nicht erfolgt ist, ganz auf den Bundesrat wälzen.
Wie die Sachen nun stehen, scheinen mir folgende Eventualitäten möglich, abgesehen von derjenigen, auf welche Prinetti in seiner heutigen Note anspielt und nach welcher der Bundesrat auf seinen Beschluss zurückkommen würde:
1) Der Bundesrat lässt nun Silvestrelli auch noch direct wissen, dass er seinen amtlichen Beziehungen mit ihm ein Ende setzt und die Sache bleibt vorläufig wie sie ist, d. h. Silvestrelli in Bern ohne Beziehungen zum Bundesrat und ich hier ohne Beziehungen zur Consulta;
2) Oder der Bundesrat erteilt mir jetzt einen Urlaub von Amtswegen, mit Rücksicht auf die Eröffnung Prinettis, was voraussichtlich auch eine Beurlaubung Silvestrellis zur Folge hätte.
In diesen zwei Eventualitäten, würde ein Bruch zwischen den Staaten, was immer eine sehr ernsthafte Sache ist, vermieden und Zeit gewonnen werden. Sollte bei Eventualität No 2 Silvestrelli, gegen alle Erwartung, nicht auch beurlaubt werden, so wäre noch immer Zeit, ihm seine Pässe zuzustellen; ich aber wäre ausser Schussweite, was eine Verständigung für die Zukunft erleichtern würde.
3) Oder der Bundesrat will jetzt schon ein Ende machen und entschliesst sich, Silvestrelli seine Pässe zuzustellen, was selbstverständlich diesselbe Massnahme der italienischen Regierung mir gegenüber zur Folge hätte: der offene, eclatante Bruch der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten wäre da.
Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen, dem Bundesrat zu diesem alleräussersten Schritte zu raten; sollte er aber dennoch dafür halten, ihn thun zu müssen, so werde ich mich selbstverständlich meiner patriotischen Pflicht nicht entziehen und das Unvermeidliche über mich ergehen lassen.
Auf eines möchte ich noch, Herr Bundespräsident, ganz ergebenst Ihre Aufmerksamkeit lenken. Muss die Sache im gegenwärtigen Stadium vor die Bundesversammlung gebracht werden, so schiene es, mit Rücksicht auf die Presse und auf die spätere Beilegung des Zwischenfalls, angezeigt, jede Wendung und jedes Wort zu vermeiden, das zur Deutung Veranlassung geben könnte, es bestehe bereits ein «Bruch» (une rupture) zwischen den beiden Regierungen.