Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IV. NIEDERLASSUNGS- UND ASYLPOLITIK
2. Die schweizerische Asylrechtspraxis
Darin: Von Berlin ausgehend gibt es eine konzertierte Aktion zwischen Berlin, Petersburg und Wien, um die Schweiz zu einer Änderung ihrer Asylpolitik zu zwingen. Annex vom 30.4.1879
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 162
volume linkBern 1986
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.53-06#1000/1751#364* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.53-06(-)1000/1751 83 | |
Dossier title | Politische Berichte (1879–1879) | |
File reference archive | I |
dodis.ch/42141
In meinem vertraulichen Berichte vom 30. April2 hatte ich die Ehre Ihnen auf beste Informationen gestützt mitzutheilen, dass in jenen Tagen Verhandlungen bezüglich der Asylfrage der Schweiz zwischen verschiedenen Cabineten stattfanden und dass die Initiative dazu von Berlin ausgegangen sei. Näheres hatte ich seither nicht darüber erfahren können, indessen brachte der Dayly [sic!]Telegraph vor 12– 14 Tagen eine aehnliche Nachricht und ebenso vor wenigen Tagen das Journal des Débats, beide betonten, dass die Initiative vom Fürsten Bismark ausgegangen sei, nur war, wie es scheint, das Journal des Débats insoweit schlecht informirt, als es von einer diesbezüglichen Note des Fürsten Bismark sprach, die an den h. Bundesrath abgegangen sein soll.
Heute bin ich in der Lage Ihnen die Richtigkeit meines Berichtes vom 30. April vollkommen zu bestätigen, denn Baron Orszy3 theilte mir gestern auf eine dahin zielende Anfrage ganz vertraulichm.it, dass die Frage wegen Schritten beim Bundesrath um strengere Beaufsichtigung der Flüchtlinge und Maassnahmen gegen die Internationale in der Schweiz vom Fürsten Bismark ausgegangen sei und dass der deutsche
Botschafter Prinz Reuss schon zu verschiedenen Malen bei ihm (Baron Orszy) den
Gegenstand in Anregung gebracht und besprochen habe. Baron Orszy sagte mir:
«ich kann Sie ganz bestimmt versichern, dass Bismark nicht von Russland aufgefordert sondern aus eigener Initiative gegen die Internationalen in der Schweiz Mittel ergreifen will, dass er sich in dieser Frage sogar von Gortchakoff trennen wird wenn dieser etwa andere Wege einschlagen will als er. Bismark nimmt die Sache ungemein ernst, und wird nichts unversucht lassen um die Communication zwischen dem Genfer Comité und den deutschen Internationalen zu unterbinden.»
Nach Baron Orszy’s Aeusserungen sucht der Fürst Reuss nun das hiesige Cabinet zu veranlassen im gegebenen Momente ebenfalls Schritte in Bismark’schem Sinne beim Bundesrathe zu unternehmen. Es sollen dieselben bezweken den h. Bundesrath zu veranlassen sehr strenge polizeiliche Maassregeln gegen die Internationalen in der Schweiz, besonders in Genf und Neuchâtel zu ergreifen; wie weit dieselben nach Bismark’schem Sinne gehen sollen, konnte mir Baron Orszy nicht sagen.
Auf meine Frage wie sich das hiesige Cabinet den Bismark’schen Aufforderungen gegenüber verhalten werde, sagte mir Orszy, dass Graf Andrassy bisher sich nur habe referiren lassen, aber durchaus noch nach keiner Richtung hin sich geaeussert habe, was er zu thuen gedenke.
Baron Orszy theilte mir ferner mit, dass das auswaertige Amt durch Ueberwachung des internationalen Socialisten-Comités in Pesfüber das Treiben der Internationalen in Genf Aufklärung erhalten habe. Das Genfercomité soll nämlich Hauptvermittler zur Verbreitung der internationalen Brandschriften sein. Die in London in deutscher Sprache erscheinende «Freiheit» (die übrigens von Zeit zu Zeit den Titel wechseln soll) soll für die geheime Verbreitung auf so feines Papier gedruckt sein, dass mehrere Exemplare blos 15 Gramme wiegen und nur einfachem Porto unterliegen; sie wird von London nach Genf geschickt, ebenso nimmt die Avant-Garde ihren Weg dorthin. Das Genfercomité schickt diese Blätter an das Comité nach Pest und dieses wieder sendet sie theils nach Krakau, von wo sie ihren Weg nach Russland finden, theils an die Comités nach Dresden und Breslau, die sie wieder auf die moeglichst wenig auffallende Weise verbreiten. Diesen Weg nehmen nicht nur die Zeitungen und kleineren Flugblätter sondern auch andere internat. Sendungen. In Krakau werden die internationalen Agenten auf das schärfste überwacht; an der Spitze der dortigen Polizei befindet sich nämlich Polizeidirector Englich, der im Rufe steht, der feinste, scharfsichtigste und thaetigste Polizeichef der Monarchie zu sein, ja man ist
sogar der Ansicht dass er von keinem der jezt lebenden Polizeichefs übertroffen werde. – Das Bestreben Bismarks wird nun dahin gerichtet sein womöglich das Genfer-Comité unschaedlich zu machen.
Tags