Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
VI. EISENBAHNEN
1. Der Bau der Gotthardbahn
1.1. Finanzierung der Bahn und Verwendung der Baurestgelder
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 119
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E53#1000/893#493* | |
Old classification | CH-BAR E 53(-)1000/893 118 | |
Dossier title | Finanzkrise; Reorganisation des Gotthardbahnunternehmens; Protokolle der internationalen Konferenzen (1877–1877) |
dodis.ch/42098
Ich kehre soeben vom Auswärtigen Amte zurück und beeile mich, Ihnen über meine Unterredung mit dem H. Staatssekretär v. Bülow Bericht zu erstatten.
Nachdem ich demselben die Note2 betreffend den Beitritt der Argentinischen Republik zum Weltpost-Verein übergeben und wir über diese Angelegenheit einige allgemeine Phrasen gewechselt, ergriff H. v. Bülow die Initiative in der Gotthardfrage und äusserte sich hierüber folgendermassen:
«Seitdem ich Sie zum letzten Male gesprochen, ist es mir gelungen, die Sache wesentlich zu fördern und ich freue mich Ihnen mittheilen zu können, dass sich die Reichsregierung entschlossen hat, den gesetzlichen Organen (Bundesrath und Reichstag) die Ratifikation eines Abkommens auf der Basis der Luzerner-Conferenzbeschlüsse zu beantragen und zu empfehlen. Die bezügliche Mittheilung nach Bern wird erfolgen, sobald H. Hofmann, welcher für einige Tage nach Kissingen gereist ist, zurück sein wird; wir werden dann H. Kinel beauftragen, die Sache abzufassen, jedenfalls nehme ich aber an, dass die Erklärung spätestens in der nächsten Woche abgegeben werden wird. Wir müssen nun unter der Hand auch noch mit H. Camphausen sprechen, ich denke aber, er werde keine Schwierigkeiten machen und so dürfte also einstweilen die Sache ganz nach Wunsch des schweizerischen Bundesrathes und zwar, wie bemerkt, in nächster Bälde erledigt werden. Ich habe auch confidentiell mit H. de Launay gesprochen und ihm den dringenden Wunsch ausgesprochen, dass Italien bald nachfolge; zudem beauftrage ich anderseits H. v. Keudell in gleichem Sinne in Rom thätig zu sein und der dortigen Regierung mit Nachdruck auseinanderzusetzen, wie sehr es im Interesse des Unternehmens liegt, dass man italienischer Seits unser Beispiel rasch befolge, um endlich die Sache in Gang zu bringen. Was endlich die Spezialfrage der Verwendung der Caution der Gotthardgesellschaft zur einstweiligen Weiterführung der Arbeiten betrifft, so habe ich dem General v. Röder bereits geschrieben, dass wir hiemit einverstanden seien.»
Ich ermangelte meinerseits nicht, aufs Neue die hohe Wünschbarkeit einer möglichst beschleunigten Erklärung von Seiten der deutschen Regierung zu betonen, übrigens scheint mir nun wirklich «die Sache im Gang zu sein», denn die Erklärung des H. v. Bülow lautete sehr bestimmt und der Abstecher des H. Hofmann nach Kissingen (zum Reichskanzler) wird uns sicherlich gegen eine Verschleppung der Ratifikationsfrage schützen. – Dass wir endlich so weit sind, ist mir um so erwünschter, als H. v. Bülow mir mittheilte, er werde nun ohne Verzug, wahrscheinlich schon heute Abend, zum Kurgebrauch nach Marienbad verreisen, «jetzt erlaube ihm die politische Situation eher eine Absenz, als etwa in 6 Wochen.»
Ich versuchte diese Andeutung zu benützen, um ihn zu bewegen, sich im Allgemeinen über die politische Situation auszusprechen, er war aber, vermuthlich seiner Reise-Vorbereitungen wegen, so affairé, dass ich betreffend die orientalische Frage nichts von Belang von ihm erfahren konnte. Dagegen gieng er in die französische Frage ein und äusserte sich, in Beantwortung verschiedener von mir gestellter Fragen, kurz wie folgt:
«Die Zustände in Frankreich sind höchst unerquicklich, die Krisis ist äusserst leichtfertig in Szene gesetzt worden, wer weiss wie sie enden wird. Wenn die Wahlen, wie zu erwarten steht, republikanisch ausfallen, so bleiben nur 2 Eventualitäten, entweder Rücktritt des Marschal’s oder Staatsstreich. Man sagt nun allerdings, der «loyale» Soldat würde nur mit Widerstreben zu diesem letzten Mittel greifen und ich habe heute, unter uns gesagt, die Mittheilung erhalten, dass so lange der jetzige Kriegsminister an seiner Stelle belassen werde, pcto. Staatsstreich nichts zu befürchten sei, dagegen wäre, hat man ausdrücklich hinzugefügt, bei einem Wechsel in diesem Ministerium Alles möglich. Betreffend die Wahlen wurde mir gemeldet, dieselben dürften am 15. August vorgenommen werden, also, nicht wahr, am Napoleonstag?»
Ich hatte von Anfang an die Überzeugung, dass man hier über die Krisis in Frankreich sehr beunruhigt ist und dass man die Entwicklung derselben misstrauisch verfolgt; offenbar hat die Äusserung des H. v. Bülow, er könne jetzt leichter weg, als vielleicht in 6 Wochen, vorherschend auf Frankreich Bezug, auf den 15. August, aber auch in ändern Kreisen, all überall wo man von der Sache spricht, begegnet man einer erklärten Missstimmung und dem grössten Misstrauen, natürlich mit Ausnahme der ultramontanen Presse. Die Wirkung der Erklärungen der H. H. de Broglie, Decazes und Fourtou ist also gleich null oder, besser gesagt, eher negativ.
Ihre Depesche3 betreffend mein Urlaubsgesuch habe ich soeben erhalten. Ich kenne natürlich die nähere Veranlassung Ihres Beschlusses, wonach ich bis Ende Juli hier zu bleiben hätte, nicht, vermuthe aber, derselbe stehe mit der Gotthard-Frage und mit meinem letzten Schreiben4 an das polit. Dept, vom 23. Juni, über meine Besprechung mit H. Kinel, in enger Verbindung. Ist diese meine Vermuthung richtig, so darf ich wohl annehmen, Sie würden mir, wenn die deutsche Ratifikation früher erfolgt, gestatten, vor dem vorgeschriebenen Termin, d. h. so bald die Ratifikation definitiv beschlossen und H. Röder beauftragt ist, Sie davon in Kenntniss zu setzen, ohne weitern Verzug abzureisen. Ich glaube Ihnen dieses Frühjahr schon den Beweis geleistet zu haben, dass ich meine Privat-Interessen unbedingt den Amtspflichten unterordne und hätte auch jetzt trotz Ihrer Autorisation den Posten nicht verlassen, ohne über das Schicksal der Ratifikation der Luzerner-Beschlüsse bestimmte, absolut beruhigende Zusicherungen erhalten zu haben.
Ebenso fällt es mir nicht ein, auf die Sache zurückzukommen, falls Ihrem Beschlüsse von heute andere Motive zu Grunde liegen, sondern ich werde mich, wie es meine Pflicht ist, streng an Ihre Instruktionen halten, obschon dieser Aufschub der Rückkehr nach Teufen mich in meinen Privatinteressen empfindlich schädigt, denn es musste eben bei meiner raschen Abreise Vieles ungeordnet bleiben und nothgedrungen auf den Sommer-Urlaub verschoben werden.
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Railway Tunnels in the Alps Gotthard railway, Construction (1871–1886)