Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
VI. EISENBAHNEN
1. Der Bau der Gotthardbahn
1.1. Finanzierung der Bahn und Verwendung der Baurestgelder
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 113
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E53#1000/893#493* | |
Old classification | CH-BAR E 53(-)1000/893 118 | |
Dossier title | Finanzkrise; Reorganisation des Gotthardbahnunternehmens; Protokolle der internationalen Konferenzen (1877–1877) |
dodis.ch/42092
In Ergänzung meines soeben abgesandten Telegramms2 mache ich Ihnen die Mittheilung, dass ich heute wieder eine längere Unterredung mit H. v. Bülow über die Gotthardangelegenheit hatte und dabei zu der Überzeugung gelangt bin, dass die diesbezügliche Situation dem Antritte meines Urlaubs nicht hindernd im Wege steht, oder mit ändern Worten, dass meine persönliche Anwesenheit, dieser Frage wegen, nicht unbedingt nothwendig ist, wenigstens zur Zeit nicht. Warum ich dringend wünschen muss, den Urlaub ohne weitern Verzug anzutreten, hatte ich früher schon die Ehre zu melden, es sind rein geschäftliche Gründe, nämlich die s.Z.bestimmt übernommene Verpflichtung, meinen kantonalen Ämtern noch ca. 6 Wochen obzuliegen und speziell auch noch während einiger Zeit den Sitzungen des Ständerathes beizuwohnen. Ich würde nun, falls Sie meine telegraphische Urlaubsanfrage bejahen sollten, morgen, Freitag Abend von hier abreisen, Montag und Dienstag die Sitzung unseres Grossen Rathes mitmachen und dann Mittwoch in Bern eintreffen, um mein Ständeraths-Mandat noch bis zum Schluss der Session zu versehen, während welcher Zeit mir auch Gelegenheit geboten wäre, verschiedene Fragen und speziell die Gotthard-Angelegenheit näher mit Ihnen zu besprechen, was ich für absolut wünschenswerth erachte.
Nachdem H. v. Bülow vorerst mich angefragt hatte, ob ich nichts Neues betreffend den Gotthard wisse, welche Frage ich verneinend beantworten musste, sagte er mir, H. v. Keudell habe ihm telegraphisch berichtet, das Ministerium des Äussern in Rom habe ihm neuerdings die bestimmte Zusicherung gegeben, man werde die Sache möglichst beschleunigen. Confidentiell habe dann H. v. Keudell aber auch gemeldet, die Rekonstruktionspläne, d. h. die Frage einer Mehrleistung finde im Ministerium eine lebhafte Opposition. Zur Zeit, fügte H. v. Bülow bei, vermöge er durchaus noch nicht zu sagen, ob die längst erwartete Antwort in der allernächsten Zeit wirklich eintreffen werde, es sei ebenso gut möglich, dass man noch Wochen lang darauf warten müsse, besonders wenn, wie die Zeitungen berichtet haben, erst Anfangs dieses Monats eine Kommission von Technikern zur Prüfung der Vorlagen einberufen worden sei. – Unter allen Umständen müsse man nun eben hier die Antwort von Rom abwarten, denn ein einseitiges Vorgehen sei nicht zulässig; hier sei man schlüssig und mit den nöthigen Vorarbeiten schon längst fertig, man habe auch bereits den Beamten im Auge, welcher mit G[enera]\ v. Roeder oder vielleicht auch ohne denselben Deutschland in der Conferenz zu vertreten hätte, kurz, deutscherseits werde keine Veranlassung zu weitern Verzögerungen gegeben werden. – Übergehend auf die Situation im Allgemeinen, sprach sich H. v. Bülow wiederholt in sehr bestimmter und accentuirter Weise dahin aus, dass man Allem [sic!]aufbieten müsse, um die Rekonstruktion durchzuführen und zwar durch Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Gesellschaft, denn der «Krach» dieser letztem wäre entschieden in jeder Beziehung höchst verderblich für das Unternehmen. – Die deutsche Regierung sei fest entschlossen, die Sache nicht sterben zu lassen, sie sei hiebei durch volkswirtschaftliche und politische Interessen geleitet, Fürst Bismark nehme ganz diesen Standpunkt ein und interessire sich lebhaft für die Frage, ebenso beschäftige sich der Präsident des Reichskanzleramtes, Hofmann, intensiv mit derselben und auch der Bundesrath bekunde eine günstige Stimmung, etwa mit Ausnahme einiger Vertreter der süddeutschen Staaten, welche eine gewisse Lauheit zeigen. Auch bei diesem Anlasse betonte aber H. v. Bülow ganz besonders, der Bundesrath müsse sich nun eben an die Spitze stellen und es sei nöthig, dass die Schweiz, als solche, als Staat auch direkt etwas thue; wir sollen ja nicht glauben, es sei dies ein Steckenpferd, das man ohne tiefere Überzeugung, aus purer Rechthaberei reite, sondern man habe hier immer mehr die bestimmte Ansicht, dass nur auf diesem Wege dem Unternehmen aufgeholfen werden könne, wir mögen versichert sein, dass Deutschland, das bei der Vollendung des Werkes so sehr interessirt sei, leisten werde, was nur immer möglich sei.
Da ich mich ohne Instruktionen befinde oder, richtiger gesagt, von Ihnen angewiesen worden bin, in eine Diskussion der von dem Bundesrathe in den zuletzt berührten Fragen einzunehmenden Stellung nicht einzutreten, erklärte ich H. v. Bülow ganz einfach, ich werde Ihnen seine Mittheilung zur Kenntniss bringen.
Ich zweifle nicht daran, dass Sie bei dieser Sachlage mit mir einig gehen werden, dass im Grunde genommen meine Anwesenheit in Berlin zur Zeit nicht mehr absolut nothwendig ist und dass, unter Umständen, H. v. Claparède das Nöthige besorgen könnte. – So viel scheint nämlich sicher zu sein, dass man von hier aus die Conferenz beschicken und die bezügl. Note des Bundesrathes beantworten wird, sobald Italien schlüssig ist, ebenso darf die Stimmung in den maassgebenden Kreisen als eine im Allgemeinen günstige bezeichnet werden und wenn vor der Conferenz noch weitere Schritte zu thun sind, so kann dies erst der Fall sein, wenn der Bundesrath durch die Vermittlung des deutschen und italienischen Gesandten in Bern die Antwort beider Staaten erhalten haben wird. Höchstens könnte es sich vorher etwa um eine offizielle recharge handeln, deren Übermittlung dann H. v. Claparède besorgen würde. Und sollte sich unerwarteter Weise die Situation während meiner Urlaubszeit so gestalten, dass meine sofortige Rückkehr nach Berlin Ihnen wünschenswerth erscheinen könnte, so wäre ich natürlich jeden Augenblick hiezu bereit.
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Railway Tunnels in the Alps Gotthard railway, Construction (1871–1886)