dodis.ch/42026 Der schweizerische Gesandte in Berlin, B. Hammer, an den Bundespräsidenten und Vorsteher des Politischen Departements, K. Schenk1
Confidentiell Berlin, 2. Mai 1874
In Beantwortung Ihrer sehr geschätzten confidentiellen Schreiben vom 9. Januar2 und 28. April3 abhin – Genfer Convention betreffend – bedaure ich aufs lebhafteste, auch heute noch nicht in der Lage zu sein, Ihnen eine günstige oder auch nur definitive Entschliessung der Reichsregierung mittheilen zu können.
Einige Tage nach Empfang Ihres Schreibens vom 9. Januar hatte ich schon eine bezügliche Besprechung mit Herrn von Bülow, der mir versprach, die Sache einstweilen im Auge behalten, und zu gelegener Zeit an höchster Stelle wieder in Anregung bringen zu wollen. Sachlich machte er keine Mittheilungen, welche von denjenigen, über die ich dem Politischen Departement unterm 24. Dez. 73 referirte4, wesentlich sich unterschieden. Ich unterliess daher auch, Ihnen hierüber besondere Meldung zu machen, und da Sie Selbst mir hinsichtlich der Zeit freie Hand Hessen, und Herr von Bülow sich in nämlicher Beziehung freie Hand Vorbehalten musste, so wollen Sie geneigtest entschuldigen, wenn ich Herrn von Bülow bisher nicht drängen wollte, bei der Reichsregierung (resp. dem Kaiser selbst) neue Entschliessungen zu beantragen, die voraussichtlich umsoweniger von den früher gefassten abweichen würden, als zwischen beiden kein längerer Zeitraum und kein fassbarer Grund zum Stimmungswechsel läge.
In Folge Ihrer erneuten Schreiben vom 28. April brachte ich nun gestern neuerdings die Angelegenheit auf dem Auswärtigen Amte zur Sprache, und eröffnete Herr von Bülow Ihrer Instruktion [gemäss die schwierige Lage, in welcher sich der schweizerische Bundesrath der Angelegenheit und der Haltung gegenüber befinde, welche die Reichsregierung zu derselben eingenommen habe. Herr von Bülow anerkannte diese Schwierigkeiten, und schien sich im schlimmsten Falle der Ansicht zuzuneigen, dass der schweizerische Bundesrath im Sinne Ihrer Dépêché vom 9. Januar den Signatarstaaten von der neuen Lage der Dinge Kenntniss gebe und deren Rükäusserung gewärtige. Herr von Bülow bat mich jedoch, noch einige Tage zuzuwarten, um ihm Zeit zu geben, die Sache neuerdings beim Kaiser zum Vortrag zu bringen.
Die Houdetot’schen und russischen, theils gemachten, theils noch zu machenden Vorschläge5 über einen eigentlichen «Kriegscodex» sind hier bekannt, von der Reichsregierung mit Courtoisie jedoch, wie mir scheint, mit einiger Ungläubigkeit aufgenommen. Dass die russischen Vorschläge auf Anregung Preussens und zum Zweke gemacht worden seien, die Genfer Convention zum Fall zu bringen, scheint mir nach meiner bisherigen Empfindung nicht anzunehmen zu sein. Doch ist es möglich, dass die Reichsregierung die russischen Vorschläge zur Hülfe nehmen wird, um eine definitive Erklärung über die Additionalartikel noch ferners verschieben zu können.