Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 324
volume linkBern 1985
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1007#1995/533#90* | |
Old classification | CH-BAR E 1007(-)1995/533 90 | |
Dossier title | Januar - März 1871 (Nr. 1-1529) (1871–1871) | |
File reference archive | 7.1.1 |
dodis.ch/41857
Der Umstand, dass der am 28. Januar zwischen Deutschland und Frankreich abgeschlossene Waffenstillstand drei der Schweiz benachbarte französische Departemente: Doubs, Jura & Côte d’Or von dieser Wohlthat ausschliesst, hat zur Folge gehabt, dass die französische Ostarmee (sogenannte Armee Bourbaki) sich genöthigt sah, ihrem grössten Theil nach in der Schweiz ein Asyl zu suchen, um sich dem nachdrängenden deutschen Feinde, welchem sie nicht mehr zu widerstehen vermochte, zu entziehen.
Am 1. d. M. ist dann zwischen unserm Oberkommandanten, Hrn. General Herzog und dem Kommandirenden der genannten französischen Armee bezüglich des Übertritts dieser leztern in die Schweiz eine Übereinkunft2 abgeschlossen worden, deren Ausführung eben im Zuge begriffen ist.
Der numerische Bestand dieser übertretenden Armee ist noch nicht vollständig oder auch nur annähernd ermittelt; er wird verschieden, von 50 bis auf 80000 Mann geschäzt, denen eine grössere Anzahl Geschüze und einige Tausend Pferde beigegeben sein sollen.
Es ist hierin eine Anomalie, welche eine Abstellung dringend erheischt, um so mehr, als die Schweiz, welche während des ganzen deutsch-französischen Krieges mit grosser Gewissenhaftigkeit und Unpartheilichkeit, sowie mit schweren finanziellen Opfern ihre Neutralität gehandhabt hat, allen Grund hatte, anzunehmen, dass sie einer solchen Invasion sich nicht versehen musste; dass sie vielmehr damit, wenigstens in diesem Umfange, verschont bleiben dürfte.
Nachdem nun aber diese Truppenkörper veranlasst gewesen sind, ihre lezte Rettung in unserm neutralen Lande zu suchen, so wollen wir nicht ermangeln, den Gesichtspunkt näher darzulegen, unter welchem wir dieses Verhältnis glauben auffassen zu sollen.
Das von der Schweiz gewährte Asyl ist nicht sowol als eine völkerrechtliche oder vertragsmässige Pflicht, als vielmehr als ein den Attributen der Statshoheit emanirendes Recht aufzufassen. Vollkommen befugt, den Eintritt in das Land abzuweisen, erfüllt die Schweiz ein Gebot höherer Humanität, indem sie diess nicht thut, sondern der unglüklichen Armee Schuz und Asyl angedeihen lässt.
Von diesem Augenblike an beginnt aber auch die völkerrechtliche Pflicht, welche in der Sorge besteht, dass das gewährte Asyl nicht zum Kriegsmittel einer der in der Fehde begriffenen Parteien umschlage.
Diess würde aber unzweifelhaft dann geschehen, wenn gestattet würde, dass die auf genommenen Truppen sich wieder zurük begäben und von dort aus neuerdings an dem Kriege sich betheiligten.
Während die Schweiz zwar die Anerkennung dieser mit der Asylgewährung ihr zugefallenen Pflicht keinen Augenblik verleugnet, darf sie auf der ändern Seite eine zweite, ebenso gebieterische Pflicht gleichfalls nicht aus den Augen verlieren, welche darin besteht, auf eine angemessene Abschiebung der übergetretenen Truppenkörper allen Ernstes Bedacht zu nehmen. Hiezu nötigen die verschiedenen Gründe, welche hier in Betracht fallen müssen, so namentlich die grosse Last, mit welcher die Schweiz im gegebenen Falle recht eigentlich überbürdet worden ist, indem die Zal der übergetretenen und demzufolge internirten Wehrmänner verhältnissmässig bedeutend grösser sein wird, als die Zal der in Deutschland selbst internirten Kriegsgefangenen.
Es kommen ferner in Anschlag die sanitarischen Gefahren, welche mit derartigen Invasionen unvermeidlich verknüpft sind; ebenso die manigfachen Konflikte, welche eine längere Beherbergung von Kriegsschaaren mit sich bringt, die sich an eine feste und in solchen Umständen unerlässliche Disziplin nicht mehr gebunden glauben. Endlich kommt auch zu näherer Würdigung die Rüksicht, dass die Schweiz ohne feste Pläze sich befindet, welche es ihr möglich machten, eine grössere Anzahl Internirter sicher zu überwachen, und zu verhüten, dass selbst grössere Massen das Land wieder verlassen und erneuert an dem Kriege sich betheiligen, sofern dieser wieder aufgenommen werden sollte.
Hieraus ergibt sich die zwingende Nothwendigkeit, nichts zu verabsäumen, was dazu führen kann, die Schweiz von der eingedrungenen Masse französischer Militärs wieder in schiklicher Weise zu befreien, während sie keinen Anstand genommen hat, denselben momentane, menschenfreundliche Aufnahme zu gestatten.
Wir laden Sie demnach ein, beförderlichst mit dem Präsidenten der französischen Regierung in Paris sowol, als mit dem deutschen Reichskanzler in Versailles nähere Rüksprache zu pflegen, denselben unsere Situation klar darzulegen und damit in unserm Namen den Wunsch zu erkennen zu geben, dass dieser Lage durch eine Übereinkunft der kriegführenden Parteien in dieser oder jener Weise, immerhin so bald als möglich, ein Ende gemacht werde.
Dass diess thunlich ist, dass sich Wege finden lassen, um unserm, wie wir glauben, billigen Wunsche gerecht zu werden, dafür gibt gerade die neuere Kriegsgeschichte ausdrükliche Beispiele an die Hand.
Wir wollen hier nur daran erinnern, dass im italienisch-österreichischen Kriege im Jahr 1859 die vorligende Frage eine durchaus entsprechende Lösung für alle Theile gefunden hat. Damals nemlich, und zwar auf den Antrag der französischen Regierung selbst, wurde das Verhältnis unter ausdrüklicher Beistimmung sämmtlicher kriegführender Theile so geordnet, dass die heimatliche Regierung die bestimmte Verpflichtung übernahm, die aus der Schweiz zurükgekehrten, dort internirt gewesenen Mannschaften während der Dauer des Krieges in keiner Weise aktiv zu verwenden.
Durch dieses Auskunftsmittel standen die betreffenden Truppentheile zum Kriege weiter in keinem Bezüge und konnten daher unbedenklich in die Heimat entlassen, beziehungsweise von dieser aufgenommen werden, weil die heimatliche Regierung den ändern kriegführenden Parteien für eine fernere Nichtbetheiligung Garantie geleistet hatte und diese Bürgschaft allseitig als eine genügende erkannt worden war.
Sie werden sodann nicht unterlassen, die Freiheit unserer Aktion förmlich und bestens zu verwahren für den Fall, dass Bedenken getragen werden wollten, auf unsere Reklamation einzutreten. In diesem Falle und wenn sich die Lösung des Anstandes zu lange verzögern sollte, müsste es uns natürlich unbenommen bleiben, diejenigen Massnahmen zu treffen, welche den Interessen des eigenen Landes am besten entsprechen und welche zur Erleichterung einer Bevölkerung dienen können, der Niemand die Anerkennung versagen wird, in einer höchst kritischen und schwierigen Zeitlage den Anforderungen des Völkerrechts und der Humanität in sorgfältiger Weise und mit Aufwendung aller Kraft nachgekommen zu sein.
Indem wir Sie schliesslich einladen, uns über den Erfolg dieser Ihrer Verhandlungen mit thunlicher Beschleunigung Kenntnis zu geben, oder wenn diess erforderlich sein sollte, weitere Instruktionen einzuholen, benuzen wir etc.