Berlin, 23. Dezember 1870
In Anknüpfung an meine gestrige Depesche2 melde ich Ihnen, dass ich heute mit Herrn v.Thile eine Unterredung hatte in Betreff des hier kursirenden Gerüchts von einer bereits stattgehabten oder nächstens bevorstehenden «freundlichen, jedoch eindringlichen» Vorstellung Preussens in Bern über striktere Handhabung der schweizerischen Neutralität.
Hr. v. Thile versicherte mich neuerdings, dass ihm zur Zeit keine thatsächliche Beschwerde gegen die Schweiz bekannt sei, u. dass weder er mit Geltendmachung einer solchen beauftragt sey, noch auch irgend welche Kenntniss davon habe, dass direkt von Versailles aus eine solche angebracht worden sey oder werden solle. Sollte irgend etwas einlangen, so würde er mich selbst davon in Kenntniss setzen. Hr v. Thile sprach die Meinung aus, derartigen Zeitungsgerüchten liege vielleicht die Absicht zu Grunde, in der Schweiz die Stimmung gegen Preussen zu verbittern.
Ausser Zweifel ist, dass man im auswärtigen Amt hier dermalen gegen die Schweiz durchaus nicht verstimmt ist. Vielseitig höre ich die Neutralitätsbotschaft3 als sehr gut abgefasst loben.
Sicher ist dagegen, dass vor einiger Zeit aus dem Eisass hierher die Meldung gelangte, welche bestimmte Wirthshäuser in Basel als Werbedepots bezeichnete. Es ist möglich, dass diese Meldung Bezug hatte auf gewisse Übelstände in Basel, welche durch die bekannten Massregeln des Bundesraths bereits schon als beseitigt zu betrachten sind, oder dass diese Meldung erst noch ihren Instanzenweg durchläuft, u. doch noch vielleicht schliesslich ans auswärtige Amt gelangen wird.
Die von Schweizerischen Localblättern mit so grossem Eifer verbreiteten Nachrichten über die zahlreichen Pferdeankäufe für Frankreich in der Schweiz, u. das unablässige Durchschlüpfen kleiner Trupps Elsässer u. Lothringer durch unsern Gränzcordon werden in der deutschen Presse mit ebensogrossem Eifer reproduzirt und dienen zur thatsächlichen Grundlage für sehr überflüssige Hetzereien.
Sowohl in der Presse, als in den Gesprächen unterrichteter Personen mehrte sich hinsichtlich der Kriegführung eine gewisse Besorgtheit.