Également: Le Conseil fédéral approuve certains préparatifs quant à une éventuelle occupation de la Savoie par la troupe, les autres propositions restant en suspens. Annexe de 9.11.1870
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 300
volume linkBern 1985
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#1641* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 269 | |
Dossier title | Frage der Besetzung von Chablais und Faucigny und Übergabe dieser Provinzen an die Schweiz während des deutsch-französischen Krieges von 1870-1871 (1870–1873) | |
File reference archive | B.137.1 |
dodis.ch/41833
Wie Ihnen bekannt, wurde von Savoyen aus von zwei Seiten eine Okkupation des neutralisirten Gebiets durch Schweiz. Truppen verlangt, nämlich erstens von dem Präfekten von Savoyen in Chambéry2 u. zweitens von dem Comité républicain von Bonneville3, der eine Art von Centralcomité für die Provinz Faucigny bildet u. von lezterer, sowie von der Regierung anerkannt ist. Eine aus den angesehensten Männern dieser Provinz bestehende Deputation hat bei Eröffnung ihres Gesuchs zugleich mitgetheilt, dass in der Provinz Faucigny sozusagen einmüthig u. in derjenigen von Chablais überwiegend eine dauernde Vereinigung mit der Schweiz gewünscht werde u. selbst in der Provinz Genevois sich starke Neigungen dafür zeigen.
Die bisherigen Antworten des Bundesrathes4 auf diese beiden Gesuche lassen seiner Aktion freie Hand, indem beiderseits betont wurde, dass die Schweiz je nach ihrer eigenen Convenienz von dem Besetzungsrechte Gebrauch machen werde.
Das Vordringen der deutschen Armeen nach dem Süden Frankreichs, das in Folge der bei Metz disponibel gewordenen Armee mit verstärkten Kräften erfolgen kann, nöthigt nun aber den Bundesrath zu einem bestimmten Entscheid, ob er von seinem Okkupationsrechte Gebrauch machen wolle oder nicht. Diese Frage ist im Hinblick auf die daran sich knüpfenden Folgen von der allerernstesten Natur, denn man darf sich nicht verhehlen, dass wenn die Schweiz einmal in Nordsavoyen eingetreten ist, ein Rückzug ohne gleichzeitige definitive Erledigung der Savoyerfrage ungedenkbar wird. Wir haben es also nicht mit einer Zwischenfrage zu thun, sondern mit der Hauptsache selbst, denn es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Neigung zum Anschluss an die Schweiz durch die Gewährung des Schutzes in dieser grossen Kalamität sich mächtig verstärken wird.
Anderseits wird man sich gestehen müssen, dass die Savoyerfrage sich diessmal in der allergünstigsten Weise präsentirt u. dass ein gleich vortheilhafter Anlass zu deren Lösung kaum jemals mehr eintreten wird, während der dermalige Nichtgebrauch des Rechtes von Seiten der Schweiz dasselbe unwiederbringlich vernichten wird.
Es ist die Bevölkerung von Savoyen selbst, die gegenwärtig den Schutz der Schweiz anruft. Wenn diese also in Savoyen einrückt, so wird sie als Helfer in der Noth begrüsst u. die Geltendmachung ihres Rechtes stösst auf keinerlei Widerstand. Wenn sie aber umgekehrt in dieser Noth sich von dem Lande abwendet, das ihren Schutz anruft: so wird sich naturgemäss in Letzterem eine solche Missstimmung gegen die Schweiz erzeugen, dass die allernächste Folge die sein wird, dass die Schweiz ihr Recht als begraben betrachten muss.
Das polit. Departement ist bei dieser Sachlage keinen Augenblick im Zweifel, dass die Schweiz, ohne ihrem Rechte u. ihrer Ehre zugleich zu vergeben, den Hilferuf Savoyens nicht unbeachtet lassen kann. Zur weitern Begründung dieser Ansicht will es nur andeutungsweise beifügen, dass der schweizerischer Seits aufgestellte Satz, dass die Schweiz nur Rechte u. keinerlei Pflichten gegenüber dem in die Neutralität der Schweiz eingeschlossenen Gebiete habe, nicht allgemein anerkannt werden dürfte, u. dass im Jahre 1859 z. B. die Schweiz sich veranlasst fand ausdrücklich zu erklären, warum sie den Gebrauch der Mt. Cenisbahn, welche auf einer kleinen Strecke über das neutralisirte Gebiet [führt], nicht als eine Verletzung der Schweiz. Neutralität betrachte, woraus zu folgen scheint, dass das Eintreten französischer Truppen auf den übrigen Theil des neutralisirten Gebiets als Neutralitätsverletzung betrachtet worden wäre. Man kann sich nicht verhehlen, dass die Forderung eines Besatzungsrechtes eines fremden Landes, ganz ohne Rücksichtnahme auf dessen eigene Interessen und ohne Anerkennung irgend welcher Pflichten, etwas höchst Abnormes ist.
Es kann sich nun aber fragen, ob die Fernhaltung der deutschen Armee vom Gebiete des neutralisirten Savoyens nicht durch blosse diplomatische Mittel – ohne Okkupation – bewerkstelligt werden könnte?
In dieser Beziehung ist zu bemerken, dass es sich damit ganz auf gleiche Weise wie mit der Schweiz. Neutralität im Ganzen verhält. Wir haben bekanntlich in dieser Beziehung von Seiten der Kriegführenden die schönsten Zusicherungen erhalten, es aber doch für nöthig gefunden, uns selbst noch militärisch zu schützen. Es geschieht diess nicht sowohl aus Misstrauen, dass mit dem gegebenen Wort ein betrügliches Spiel getrieben werde, als mit Rücksicht auf die vielfachen Erfahrungen, dass im Kriege die Umstände sich so gestalten können, dass selbst ein guter Wille genöthigt wird, das in abstracto gegebene Versprechen zu modificiren. Der Selbsterhaltungstrieb dominirt zuletzt alle Interessen Dritter.
Mit Nordsavoyen wird sich die Sache ganz sicher so machen, dass sobald ein Eindringen der deutschen Armee dort nicht mehr zu befürchten wäre, dieser Landestheil benutzt wird, um hier die Mittel des Widerstandes für andere Gebietsteile zu organisieren. Schon jetzt bewegt sich ja der Waffenschmuggel von der Schweiz aus hauptsächlich über Savoyen. Auch ist nach anderweitigen Mittheilungen, die für zuverlässig gehalten werden dürfen, Chambéry u. Savoyen überhaupt das Gebiet, auf welchem die Zuzüge aus Italien organisirt werden.
Man kann deswegen als sicher annehmen, dass Reklamationen aller Art die unmittelbare Folge einer Nichtbesetzung der fraglichen Gebietstheile wären. Die Schweiz wäre dabei in der schwierigen Lage, gar keine Mittel zu besitzen, um wirklich begründeten Beschwerden abzuhelfen. Es bleibt daher nach Ansicht des politischen Departements für den Fall, als man der deutschen Armee nicht freie Hand gegenüber Savoyen gewähren will, durchaus nichts Anderes übrig als die Besetzung des Gebiets durch schweizerische Truppen, welche die Rechte u. Pflichten der Neutralität dieses Landestheils gleichmässig schützen.
Für den Fall eines weiteren Vordringens der deutschen Armee nach dem Süden stellt daher das politische Departement folgende Anträge:
1. Es soll das neutralisirte Gebiet Savoyens (mit Ausnahme desjenigen Theils, auf welchem die Mont-Cenis Eisenbahnlinie liegt) durch Schweiz. Truppen besetzt werden.
2. Es wird den Besetzungstruppen ein eidgenössischer Kommissär beigegeben, welcher der Bevölkerung des zu besetzenden Gebietes von dem Zwecke der Besetzung Kenntniss gibt, die Neutralität (nach Massgabe der für die Schweiz erlassenen Neutralitätsverordnung) handhabt und die Beziehung des Militärkommandos mit den französischen Civilbehörden vermittelt.
3. Der Bundesrath gibt der Regierung in Tours von seiner Beschliessung durch einen besonderen Delegirten Kenntniss. Es wird derselbe beauftragt, gleichzeitig über den Exekutionsmodus und den Verkehr zwischen Civil- u. Militärbehörden eine Verständigung anzustreben u. zu vereinbaren; immerhin in der Meinung, dass die Schweiz die Ausübung ihres Rechtes nicht von einer vorherigen Verständigung über diese Nebenpunkte abhängig macht.
4. Ebenso gibt der Bundesrath der preuss. Regierung von seiner Beschliessung Kenntniss mit dem Ersuchen, den deutschen Truppen nach Massgabe der Vertragsbestimmungen von 1815 Anweisung zu geben, das neutralisirte Gebiet zu respektiren.
5. Kenntnissgabe an alle Wienervertragspactirenden nach erfolgtem Einmarsch.
6. Einladung an das Militärdepartement, dem Bundesrath die nöthigen Vorlagen über den militärischen Theil der Frage zu machen.
7. Zum Delegirten nach Tours wird erwählt... u. es wird das polit.- u. Militär. Dep. beauftragt, für denselben im Sinne obigen Vortrags die nähern Instruktionen vorzuschlagen.
8. Zum eidg. Kommissar wird erwählt...5
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Neutrality of Savoy (1870–1871)