Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.10. Juifs
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 529
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E22#1000/134#1881* | |
Dossier title | Kompetenzkonflikt des BR mit dem Kt. Basel-Land wegen Verweigerung der Niederlassung an französische Juden durch die Behörden von Basel-Land entgegen den Bestimmungen des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrages von 1864 (1865–1865) | |
File reference archive | 4.12 |
dodis.ch/41528 Proposition du suppléant du Chef du Département de Justice et de Police, C. Fornerod, au Conseil fédéral1
Mit Noten vom 22. Juli, 25. Juli und 15. August d.Js.2 hat die französische Gesandtschaft mitgetheilt, es haben die Hr. Lehmann Dietisheim, französischer Israelit, wohnhaft in Holderbank, Kt. Solothurn, und Hr. Benjamin Nordmann, ebenfalls französischer Israelit, wohnhaft in Nünningen, Kt. Solothurn, von dem durch Staatsvertrag vom 30. Juni 18643 gewonnenen Rechte Gebrauch machen und im Kt. Basel-Landschaft Niederlassung nehmen wollen. Die betreffenden basellandschaftlichen Gemeinden haben ihnen die Niederlassung zugesagt und zwar die Gemeinde Oberdorf dem Hrn. Dietisheim und die Gemeinde Reigoldswil dem Hrn. Nordmann, allein die Regierung habe die Bewilligung zur Niederlassung verweigert, weil die Petenten Israeliten seien.
Die Regierung von Basellandschaft wurde unterm 24. und 28. Juli um beförderlichen Bericht ersucht. Da aber dieser nicht einlangte, wohl aber eine neue drängende Reclamation, so wurde ihr am 16. August4 eine Frist angesetzt, um bis und mit dem 26. August ihren Bericht einzugeben und die Acten zu übersenden.
Die erwähnte Regierung antwortete mit Schreiben vom 24. August5 das aber nicht bis den 26. einlangte, sondern erst den 28. August. Sie machte nun folgende Eröffnungen: schon Mitte Juli habe das Statthalteramt Waldenburg ihr diese Niederlassungsgesuche vorgelegt, allein sie habe sich nicht als competent erachtet, darüber definitiv zu entscheiden, und daher am 21. August a.c. die Sache dem Landrathe vorgelegt. Dieser habe nun beschlossen, es könne diesen Gesuchen im Hinblik auf die Bestimmungen der Bundesverfassung und auf § 18 der Kantonsverfassung6 nicht entsprochen werden, bis durch Revision dieser Verfassungen eine Übereinstimmung mit dem schweizerisch-französischen Staatsvertrage erzielt sei. Dabei bemerkte die Regierung, es seien nicht religiöse Bedenken, welche diese Schlussnahme veranlasst haben, sondern es liege der Grund (wenn wir die etwas unklare Redaction richtig verstehen) in dem zu befürchtenden Zudrange der elsässischen Israeliten und der daraus entspringenden «lästigen Hemmung der Rechte» (soll wohl heissen «Concurrenz») der eigenen Einwohner. Die verlangten Acten wurden nicht überschickt, dagegen bemerkte die Regierung, sie habe sofort Weisung gegeben, dieselben den Petenten auszuhändigen.
Im Hinblik auf diesen Bericht, der sogar die Sammlung des Actenmaterials verhinderte, und da aus einer inzwischen an den Bundesrath gelangten directen Eingabe des Lehmann Dietisheim sich ergab, dass in letzter Zeit einem ändern französischen Israeliten im Kt. Basellandschaft die Niederlassung bewilligt worden sei, so hat der Bundesrath am 30. August a.c. beschlossen:
1. es sei die französische Gesandtschaft zu ersuchen, diejenigen Papiere einzusenden, welche die H. Nordmann und Dietisheim behufs der Niederlassung den Behörden von Basellandschaft eingegeben, aber wieder zurückerhalten haben;7
2. sei die Regierung von Basellandschaft anzufragen, ob die Behauptung, dass einem ändern französischen Israeliten die Niederlassung bewilligt worden, richtig sei, und ob sie, abgesehen von den allgemeinen Gründen, spezielle Einwendungen gegen die H. Nordmann und Dietisheim zu machen habe?8
Gegenwärtig liegt nun eine neue Note der französischen Gesandtschaft vor, datirt 6. September 18659, worin sie der Note des Bundesrathes vom 30. August mit keiner Sylbe erwähnt, sondern selbständig in etwas auffallender Form eröffnet, ihre Regierung sei von der Nachricht, dass den französischen Israeliten in dem Halb-Kanton Basellandschaft die Niederlassung verweigert werde, sehr überrascht worden; sie habe daher die Gesandtschaft beauftagt, der Bundesregierung den Art. VII des Niederlassungsvertrages10 in Erinnerung zu rufen und dessen strikte Vollziehung zu verlangen («et d’en demander la stricte exécution»). Ohne sich mit den persönlichen Verhältnissen der sich beschwerenden Israeliten zu befassen und ohne zu wissen, ob deren Papiere mehr oder weniger in Ordnung seien, glaubt die Gesandtschaft die prinzipielle Frage stellen zu sollen:
Haben die französischen Israeliten, ja oder nein, das Recht, in der Schweiz sich niederzulassen?
Die Gesandtschaft fügt selbst bei, es könne nach dem Wortlaute des Vertrages diese Frage nur bejahend beantwortet werden und verlangt daher Namens ihrer Regierung, dass der Bundesrath so schnell als möglich diejenigen Massnahmen treffen möchte, welche geeignet seien den Widerstand von Baselland zu brechen. Dann tritt die Gesandtschaft aus dem prinzipiellen Standpunkte heraus und kommt doch noch auf die oben erwähnten Spezialfälle zu sprechen, indem sie in wenig passender Weise bemerkt, der Bundesrath hätte nun Zeit genug gehabt, um sich alle wünschbaren Aufschlüsse über die Begründetheit der Reclamationen der Interessirten zu verschaffen; es scheine ihr daher, der Bundesrath sollte nicht zögern, einfach und klar die Vollziehung von Art. VII des Vertrages anzuordnen.
Wir beschränken uns darauf, den Inhalt dieser Note hiermit darzulegen und zugleich uns dahin auszusprechen, dass dieselbe nach unserer Ansicht nicht in der Weise zu beantworten sei, wie ihr Inhalt speziell veranlassen könnte. Es dürfte genügen, der Gesandtschaft einfach Kenntnis zu geben von dem prinzipiellen Standpunkte des Bundesrathes.
Was nun die Regierung von Basellandschaft betrifft, so hat dieselbe auf die Anfrage des Bundesrathes vom 30. August mit Schreiben vom 6. September a.c. geantwortet, dass sie mit Rücksicht auf den prinzipiellen Entscheid des Landrathes sich nicht veranlasst gesehen habe, über die persönlichen Verhältnisse von Dietisheim und Nordmann sich zu erkundigen; sie sei auch nie im Besitze ihrer Belege gewesen. Dann sei es allerdings wahr, dass dem Israeliten Samuel Woog gestattet worden sei, seinen Aufenthalt von Rümlingen nach Sissach zu verlegen; es sei dieses jedoch nur geschehen, weil Woog seit 30 Jahren im Kanton wohne und sich musterhaft betrage. Übrigens sei ihm nicht die Niederlassung bewilligt, sondern blos die Duldung gestattet. Hieraus erwachsen jedoch keine Ansprüche für andere Israeliten.
Bei diesem Stande der Sache betrachten wir es nun ebenfalls als das Angemessenste, die Frage prinzipiell zu behandeln, und da der Entscheid hierüber nicht zweifelhaft sein, sondern nur dahin gehen kann, dass in Folge des Staatsvertrages vom 30. Juni 1864 die französischen Israeliten auch im Kt. Basellandschaft das Recht der Niederlassung und des Gewerbebetriebes erlangt haben, so stellen wir den Antrag:
I. Es sei der Beschluss des h. Landrathes des Kts. Basel-Landschaft vom 21. August a.c.11 als aufgehoben erklärt.
II. Es sei dem h. Landrathe des Kts. Basel-Landschaft eine Frist von 14 Tagen eingeräumt, um den Staatsvertrag mit Frankreich betreffend die Niederlassung vom 30. Juni 1864 im ganzen Umfange in Vollziehung zu setzen, oder die Frage der Kompetenz der beiden eidgenössischen Räthe gemäss Art. 74, Ziff. 17 und Art. 80 der Bundesverfassung12 bei der vereinigten Bundesversammlung anhängig zu machen, anderen Falles der Bundesrath sofort die zur Vollziehung des gegenwärtigen Beschlusses dienlich scheinenden weitern Entschliessungen fassen und in Ausführung bringen würde.
III. Es seien diese Beschlüsse der Regierung zu Händen des h. Landrathes des Kts. Basel-Landschaft mittelst Schreibens nach dem beiliegenden Entwürfe mitzutheilen.
IV. Sei der französischen Gesandtschaft auf ihre Note vom 6. September a.c. zu antworten, der Bundesrath anerkenne im Prinzipe vollständig, dass gemäss dem seit 1. Juli 1865 in Kraft getretenen Staatsvertrage vom 30. Juni 1864 den französischen Israeliten das Recht zustehe, in der Schweiz sich niederzulassen. Der Bundesrath werde auch, wo sich Schwierigkeiten dagegen erheben sollten, diesem Prinzipe im ganzen Umfange der Schweiz Nachachtung zu verschaffen wissen. Dagegen müssen hiebei die verfassungsmässigen Kompetenzen und Formen beobachtet werden. Aus diesem Grunde müsse auch der erste Entscheid in den Spezialfällen Dietisheim und Nordmann der Regierung von Baselland Vorbehalten bleiben.13
- 1
- E 22/1881.↩
- 2
- Non reproduites.↩
- 3
- RO VIII, p. 201.↩
- 4
- Non reproduites.↩
- 5
- Non reproduite.↩
- 6
- Constitution du 6 mars 1863, publiée dans Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse des Kantons Basel-Landschaft. Achter Band, Liestal, s.d., p. 432.↩
- 7
- Non reproduite.↩
- 8
- Non reproduite.↩
- 9
- Non reproduite.↩
- 10
- Du 30 juin 1864. RO VIII, p. 303.↩
- 11
- Liestal, Staatsarchiv Baselland, Niederlassung C, Juden 1831-1869.↩
- 12
- RO I, p. 24 et 25.↩
- 13
- Acceptées par le Conseil fédéral le 15 septembre 1865. PVCF ¥L 1004 l/62, no 3856. Cf. lettres du Conseil fédéral à Bâle-Campagne et à l’Ambassadeur de France à Berne, non reproduites.↩
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