Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.2. Relations commerciales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 435
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#700* | |
Dossier title | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 14 (1861–1861) |
dodis.ch/41434
Ich habe Ihnen gestern telegraphisch von dem Attentat Kenntnis gegeben, welches in Baden gegen das Leben des Königs von Preussen versucht worden ist.2 Ich erfuhr dasselbe zuerst durch Lord Cowley, indem die Morgenblätter gestern, selbst der Moniteur, noch nichts davon erwähnten. Es macht nun begreiflich dieser Bericht auch hier grosses Aufsehen. Graf Pourtalès, den ich dann besuchte, um etwas Genaueres zu erfahren, hatte keine näheren Berichte über Motive dieses Verbrechens u.s.w. Sie erfahren ohne Zweifel Genaueres direkte aus Deutschland.
Lord Cowley ist seit etwa 10 Tagen von seinem sechswöchentlichen Urlaub aus London zurück, weshalb ich Anlass nahm, ihm wieder einmal einen Besuch zu erstatten. Neues über die Situation im Allgemeinen vernahm ich von ihm nicht. Auch er glaubt an Erhaltung des Friedens wenigstens noch für dieses Jahr, es müsste denn irgend ein Ereignis ganz unvorhergesehen dazwischentreten. Die Berichte über den Gesundheitszustand der Königin seien durch Gerüchte aller Art in falschem Lichte dargestellt worden. Allerdings sei sie gemüthlich seit dem Tode ihrer Mutter sehr niedergeschlagen, und habe sich daher möglichst zurükgezogen, von Geisteskrankheit aber, wie so allgemein behauptet worden in London und in Paris, sei glüklicher Weise keine Rede. Ich benuzte dann den Anlass, Lord Cowley zu sagen, dass ich mit Vergnügen aus den lezten Verhandlungen des Parlaments und insbesondere aus den Erwiederungen von Lord J. Russel auf die Interpellation von Kingbake mich überzeugt habe, dass man in England in Bezug auf die Savoyerfrage die bisher der Schweiz bewiesene Theilnahme und Sympathie festhalte, wenn auch für einmal keine Hoffnung vorhanden sei, die Rechte der Schweiz zu gebührender Anerkennung zu bringen. Cowley bemerkte: die Anschauungsweise seiner Regierung sei stets die gleiche, aber bei jeziger Lage der Dinge bleibe nichts übrig, als diese Frage einstweilen ruhen zu lassen.
Sowohl aus den Äusserungen von Cowley als dann mit grösserer Bestimmtheit auch aus denjenigen von Pourtalès konnte ich entnehmen, dass von einer Anerkennung des Königreichs Italien von Seite der Mächte Preussen und Russland zur Zeit nicht nur keine Rede ist; sondern dass zu diesem Zwecke gemachte Vorstellungen sowohl in Berlin als in Petersburg ohne Erfolg geblieben sind. Cowley begiebt sich für den Sommer wieder nach Chantilly und Pourtalès wird im August auf sein Landgut am Thunersee (Oberhofen) sich begeben. Metternich wird nach Wien reisen.
Wie ich Ihnen in meinem lezten Rapporte geschrieben habe3, sagte mir zwar schon Thouvenel bei seiner lezten Audienz betreffend die Frage eines Handelsvertrages: die französische Regierung werde vor Ende des September oder anfangs October kaum im Falle sein, dem Bundesrath die in frühem Schreiben vorbehaltenen Eröffnungen zu machen. Die hierauf bezüglichen Vorarbeiten liegen bei Herrn Herbet, Directeur de la section commerciale au Ministère des Affaires étrangères. Lezte Äusserung veranlasste mich, Herrn Herbet einen Besuch auf seinem Bureau zu machen, um, womöglich, über den Stand der Dinge noch etwas genauere Mittheilungen zu erhalten. Ich fand Herrn Herbet sehr zuvorkommend und ganz bereit, mir confidentiellzu sagen, wie die Sache stehe.
Seine Äusserungen giengen im Wesentlichen dahin: Über die Tariffrage werde man sich bald verständigen, die schweizerischen Tarife stehen im Ganzen nieder, seien liberal, doch befinden sich einzelne Ansäze darunter, die zu hoch gegriffen seien, so z. B. der Zoll auf Möbeln und noch ein paar andre Ansäze. In dieser Hinsicht also könne die Schweiz Frankreich wenig oder nichts an Erleichterungen gewähren. Ihre niedern Zölle gelten ja allen Staaten, was also gegen Frankreich bis jezt bestehe, sei keine besondere Begünstigung. Was – nach seiner Ansicht – Frankreich von der Schweiz verlangen werde und verlangen müsse, sei (abgesehen von einigen unerheblichen Modifikationen im Tarif, bei denen er des Weines nicht erwähnte) Folgendes: 1.) Schuz für das industrielle Eigentum, brevets, marques de fabrique et de commerce, dessins, modèles. 2.) Gleichmässige Behandlung aller Franzosen ohne Rüksicht auf ihr Glaubensbekenntnis, somit Beseitigung der ausnahmsweisen Beschränkungen, denen in der Schweiz die Israeliten unterworfen seyen.
Ich unterliess nicht, ihm die Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, welche bei uns, theils mit Rüksicht auf unsre politischen Institutionen, die Competenz des Bundes und der Kantone, theils im Hinblik auf bisherige Anschauungsweise und bisherige Übung der Durchführung der bezeichneten Hauptforderungen sich entgegenstellen, ohne damit irgendwie späteren Instruktionen vorgreifen zu wollen, indem die Bundesregierung sich diesfalls erst nach offiziellen Erklärungen aussprechen könne. Es wäre überflüssig, Ihnen diese meine Erwiederungen hier näher auszuführen, sie liegen auf der Hand. Dagegen will ich doch nicht unterlassen, Ihnen in einigen Zügen die Einwendungen zu bezeichnen, welche vom französischen Standpunkt aus entgegengehalten werden. Es sind folgende:
Die französische Regierung sei das, was sie ad 1. fordere, den Industriellen ihres Landes schuldig. Man soll in den Protokollen der Enquête4 nachsehen, was die Fabrikanten von Seidenwaaren und von gedrukten Stoffen jeder Art gegen die Ausbeutung von französischen Zeichnungen, Nachahmungen von marques de fabrique, etc., vorgebracht haben und man werde sich überzeugen, dass die Regierung niemals einen Vertrag den Kammern vorlegen könnte, in welchem der französischen Industrie nicht gegenüber der Schweiz der gleiche Schuz gewährt würde, zu welchem sich England und Belgien bereits verpflichtet haben, und den auch Deutschland gewähren müsse, indem sonst gar kein Vertrag mit der deutschen Zollunion abgeschlossen würde.
Die Besorgnisse von Chicanen, welche bei einem Theil der schweizerischen Industriellen zu herrschen scheinen, seien grundlos. Man soll nicht übersehen, dass das Gesez durch schweizerische Gerichte angewendet würde, und diese werden jede Klage beseitigen, die sich als eine chicanöse qualifizieren würde.
Die Forderung Frankreichs stimme überdies überein mit dem, was eigentlich loyaler Weise die Industriellen sich gegenseitig sonst schon schuldig seien, und der Schuz, um den es sich handle, sei ja ein gegenseitiger.
Ad 2), was die Verhältnisse der Israeliten betreffe, so seien die diesfalls bestehenden Beschränkungen beim jezigen Stand der Civilisation in keinem Lande mehr haltbar. Die schweizerischen Behörden sollten daher kein Bedenken tragen, auch in dieser Richtung den liberalen Grundsäzen Geltung zu verschaffen, welche allmählich überall durchdringen. Ob dies nur auf dem Wege einer Verfassungsrevision oder auf dem Wege eines Concordâtes oder auf dem Weg der Gesezgebung geschehen könne, das könne Frankreich nichtberüksichtigen. Die französische Regierung aber könne in unsrer Zeit keinen Vertrag mehr abschliessen, durch welchen die einen Unterthanen des Reiches wegen Glaubensansichten ungünstiger behandelt würden, als die ändern. Alle Staatsangehörigen haben auf den gleichen Schutz Anspruch. Dies im Wesentlichen die Ansichten, welche Herbet ausspricht, und die ohne allen Zweifel auch als Anträge an das Ministerium formulirt werden. Ehe man über diese beiden Hauptfragen einig sei, wäre es überflüssig, fügte er bei, in irgend welche Erörterungen über Tariffragen einzugehen. Ich möge versichert sein, dass Frankreich mit Freuden auch mit der Schweiz einen Handelsvertrag eingehe, aber es sei dies nur möglich, wenn leztere Grundsäze anerkenne, welche alle ändern contrahirenden Staaten ebenfalls angenommen haben, und ohne welche neue Verträge nicht abgeschlossen werden können. Betreffend endlich den Zeitpunkt, wo offizielle Erklärungen zu erwarten seien, so stimmt Herbet ganz überein mit dem, was mir schon Thouvenel sagte: nicht vor Ende September oder Anfangs October. Offenbar sind es nicht die Vorarbeiten, auch nicht der von Herbet angeführte Umstand, dass Thouvenel und Rouher einige Zeit abwesend sind, welche als die wahren Ursachen dieser Verzögerung angesehen werden müssen. Der wahre Grund ist vielmehr darin zu suchen, dass die französische Regierung den Vertrag mit der deutschen Zollunion entweder zum Abschluss oder doch lezterm nahe zu führen wünscht, ehe die Negotiationen mit der Schweiz eröffnet werden. Der Handelsminister Rouher befindet sich noch in Karlsbad und Thouvenel hat lezten Mittwoch einen Urlaub von einigen Wochen angetreten. Billault hat die Interimsführung des Ministeriums des Äusseren bereits per Circulare den Mitgliedern des diplomatischen Corps angezeigt.
Nachdem ich nun theils durch die Mittheilungen von Thouvenel, theils durch diejenigen von Herbet, die Gewissheit erhalten habe, dass dasjenige Tractandum, das für die Schweiz von besonderer Wichtigkeit ist, noch für einige Zeit jedenfalls nicht zur Verhandlung kommt, und da überhaupt in Abwesenheit des Ministers des Äussern voraussichtlich keine wichtigen Fragen behandelt werden, so scheint mir der Zeitpunkt der geeignetste zu sein, wo eine Abwesenheit in Urlaub für mich zulässig ist. Ich erlaube mir daher, hiermit das Gesuch an Sie zu richten, Sie möchten mir auch dieses Jahr wie bisher einen Urlaub von einigen Wochen gestatten, den ich in der Schweiz zuzubringen gedenke und den ich gegen Ende dieses Monats anzutreten wünsche. Es ist wie bisher selbstverständlich, dass ich auch während des Urlaubs sofort auf meinen Posten mich begeben würde, wenn irgend Unvorhergesehenes meine Rükkehr nothwendig oder wünschbar machen sollte.
Ich werde mir zur Pflicht machen, meinen Aufenthalt in der Schweiz namentlich auch dazu zu benuzen, um über oben berührte so wichtige Fragen Ihre Ansichten und diejenigen von Sachkundigen kennen zu lernen. Einiges hierauf bezügliche Material habe ich mir bereits verschafft und werde es Ihnen nach Bern mitbringen. Ich gestehe Ihnen ganz offen, dass mein Urtheil über die Hauptfrage – protection de la propriété industrielle – nicht abgeschlossen ist, und dass ich diese Frage bei unsern Verhältnissen für eine solche halte, welche eine sehr einlässliche und umständliche Prüfung fordert. Ich werde auch den VII. Band der Enquête commerciale mitbringen.
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