Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.2. Autriche
I.2.3. Affaires du Tessin
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 154
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#353* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 42 | |
Dossier title | Säkularisation im Kanton Tessin (1852–1853) | |
File reference archive | B.252.2.1 |
dodis.ch/41153
Das Departement giebt Ihnen Kenntnis von dem Bericht der Regierung von Tessin, betreffend die Ausweisung der fremden Kapuziner2, sowie von einigen Beilagen und beantragt folgende Erwiederung der Östreichischen Note vom 21. Dec. pass.3:
Tit: Mit Note vom 21. Dec. 1852 hat Sr. Hochwohlgeb. Herr Graf v. Karnicki, K.K. Östreichischer Geschäftsträger, über die Regierung von Tessin Beschwerde geführt wegen Ausweisung von acht Kapuzinern über die Lombardische Grenze und das Begehren gestellt, dass er innerhalb höchstens 14 Tagen davon in Kenntnis gesetzt werde, ob und welche Einleitungen getroffen worden seyen, um wegen dieses Verfahrens die gewünschte Genugthuung zu verschaffen. Auf den Fall, dass diese ausbleiben sollte, wurde mit der Ausweisung der in der Lombardie lebenden Tessiner und allfällig weitern Massregeln gedroht.
Der Schweizerische Bundesrath muss vor allem aus sein lebhaftes Bedauern aussprechen, dass Sr. Hochw. usw. sich veranlasst finden konnte, in dieser Angelegenheit eine solche Sprache zu führen, ohne die Motive jener Ausweisung und die Gründe der Rechtfertigung zu kennen, ja sogar, ohne, wie es scheint, irgendwelche Gewissheit darüber zu haben, ob die ausgewiesenen Kapuziner zur Zeit östreichische Staatsangehörige seyen. Auch muss der Schw. Bundesrath die Zumuthung ablehnen, innerhalb einer Frist von 14 Tagen gegen eine Kantonsregierung einzuschreiten; denn er ist gewohnt, immer zuerst den angeklagten Theil anzuhören, ehe er urtheilt. Dagegen hat er nicht ermangelt, die Regierung von Tessin sofort von der eingegangenen Beschwerde in Kenntnis zu setzen und sie um einen beförderlichen Bericht zu ersuchen. Nach Eingang desselben befindet er sich nun im Falle, Sr. Hochw. usw., folgende Mittheilung zu machen:
Die Beschwerde beginnt mit der Behauptung, dass in der Nacht vom 21. Nov. abhin acht Mönche mit rücksichtsloser Härte und mit Gewalt über die Kaiserliche Grenze geschafft worden seyen. Diese Darstellung beruht jedoch auf Unrichtigkeit und Übertreibung von Seite der Mönche. Dieselben wurden am Abend mit der Verfügung bekannt gemacht und die Vollziehung fand am folgenden Morgen statt; einzig in Lugano fand der Commissair sich veranlasst, von sich aus und ohne Auftrag der Regierung die Vollziehung in der Nacht vorzunehmen. Der Regierungsbeschluss vom 19. November räumte eine Frist von drei Tagen ein. Die Mönche wurden ferner nicht mit Gewalt über die Lombardische Grenze abgeschoben, sondern an diejenige Grenze gebracht, welche sie selbst wählten, und dort angelangt hatten die tessinischen Polizey-Agenten keineswegs den Auftrag, den Eingang gleichsam zu erzwingen, sondern die Vollziehung der Ausweisung wäre ohne weiteres suspendirt worden, wenn die östreichische Grenzpolizey die Mönche zurückgewiesen hätte. Dasselbe wäre der Fall gewesen, wenn dieselbe schweizerische Nationalität angesprochen hätten, wie es Pater Sigismund (weltlich Juliani Fortunato) gethan hat, welcher, obwohl im Jahr 1809 in Mailand geboren, ein tessinisches Heimathrecht behauptet, und dieser blossen Behauptung wegen befindet er sich zur Stunde noch im Tessin. War auch die Frist für die Vollziehung der Ausweisung keine lange, so darf nicht übersehen werden, dass Leute, welche schon durch die Regel ihres Ordens an plötzliche Veränderungen ihres Wohnsitzes gewöhnt sind, und welche weder Familie, noch Grundeigenthum, noch Gewerbe besitzen und daher keine grossen Vorbereitungen zu treffen haben, kaum eine rücksichtslose Härte darin finden konnten, umso weniger, als sie die Überzeugung haben konnten, in der Lombardie oder in Piemont eine bereitwillige Aufnahme zu finden. Endlich bleibt über die Art und Weise der Vollziehung noch zu erwähnen übrig, dass die Mönche auf Kosten der Regierung in Kutschen bis an die Grenze geführt wurden und dass man ihnen einen Gehalt für vier Monathe ausbezahlte.
Geht man von diesen Nebenumständen auf die Hauptfrage selbst über, so kann auch vom hierseitigen Standpunkte aus, gleich wie es in der Note vom 21. Dec. geschah, auf die Alternative eingegangen werden: entweder sind die ausgewiesenen Kapuziner keine östreichischen Unterthanen oder sie sind es. Im erstem Falle steht den K.K. Östreichischen Behörden kein anderes Recht zu, als dieselben über die Grenze dahin zurückzuweisen, woher sie gekommen sind und die Regierung von Tessin wird bereit sein, dieselben wieder aufzunehmen mit dem Vorbehalt, über ihre Nationalität weitere Untersuchung und Erörterung walten zu lassen. Es wird dannzumal auch in Frage kommen, ob jene Mönche das tessinische Bürgerrecht erworben haben, eine Frage, welche die K.K. Östreichischen Behörden von dem Augenblick an nicht weiter berührt, wo jene Personen nicht mehr als östreichische Unterthanen anerkannt werden.
Im zweyten Fall dagegen, wenn sie noch als östreichische Unterthanen zu betrachten sind, steht allerdings den K.K. Östreichischen Behörden das Recht zu, dieselben zu beschützen, insofern sie auf eine rechtswidrige, bestehenden Verträgen oder beyderseits anerkannten internationalen Grundsätzen zuwiderlaufende Weise behandelt werden. In der Person jener Mönche kann nun zweyerley in Betracht kommen, das Recht auf Ausübung ihres Berufes und das Recht auf den Aufenthalt im Lande, als fremde Individuen. Die Kapuziner, welche, beyläufig gesagt, nicht unter dem Schutze östreichischer Pässe hier waren, betreiben keinen weltlichen Beruf – man müsste denn das Betteln einen solchen nennen – sondern ihre Funktionen gehören dem öffentlichen Dienste an, dessen Umfang und Bedürfnis der Würdigung einer Staatsregierung anheim fallen muss; es ist ihre Sache, das Personal, welches für den öffentlichen Dienst bestimmt ist, zu erweitern oder zu beschränken, bestehende Anstalten zu reformiren oder aufzuheben, sowie auch neue zu gründen. Dieses ist eine innere Angelegenheit jedes Staates und ein Recht, welches jeder selbständige Staat zu allen Zeiten in Anspruch genommen und ausgeübt hat, Ostreich nicht ausgenommen. Eine Rechtsverletzung in der Person derjenigen Individuen, welchen durch Gesetze oder Regierungserlasse ein öffentliches Amt entzogen wird, könnte nur dann angenommen werden, wenn sie ohne Grund und Entschädigung und vor Ablauf der ihnen zugesicherten lebenslänglichen oder periodischen Amtsdauer entlassen werden. Niemand wird aber wohl behaupten wollen, dass in der Zulassung fremder Kapuziner in einem Lande von Rechts wegen die Zusicherung und Garantie liege, dass sie lebenslänglich in dieser Stellung zu verbleiben haben. Aus dem Gesagten folgt nothwendig, dass über Reformen und Aufhebung öffentlicher Anstalten, über Untersagung der Ausübung öffentlicher Funktionen, als eine innere Angelegenheit des Landes, kein Staat dem ändern Rechenschaft schuldig ist. Gleichwohl nimmt die Regierung von Tessin und mit ihr der Bundesrath keinen Anstand, auf die Motive der fraglichen Maassregel hinzuweisen, um zu zeigen, dass sie nicht auf Laune und Willkür beruht. Die Kapuziner im Tessin gaben vielfachen Grund zu Beschwerden und diesfälligen Petitionen vieler angesehener Bürger. Nicht nur sind sie notorisch in politische Partheyen gespalten, die in dieser Eigenschaft sowohl in als ausser den Conventen sich heftigen Umtrieben preisgeben, sondern auch in moralischer Beziehung sind die Bande der Disciplin aufgelöst; die einen sind in hohem Grade dem Fanatismus und Aberglauben ergeben und verpflanzen denselben in den Schooss der Familien, was hie und da die bedauerlichsten Auftritte zur Folge hatte, andre sind ausschweifend und verbreiten ihren verderblichen Einfluss um so mehr, je weniger man sich desselben von ihrer Seite versieht. Von der Richtigkeit dieser Angaben konnte sich der Schweizerische Bundesrath durch eine Reihe von Beweisurkunden überzeugen.4 Unter derartigen Umständen darf keine Regierung es dulden, dass geistliche Funktionen solchen Personen anvertraut werden.
Was nun die Frage der Ausweisung betrifft, so ist diese allerdings nicht eine rein innere Angelegenheit, sondern sie beschlägt die internationalen Beziehungen. Welches sind nun die Grundsätze, die in dieser Hinsicht zwischen Ostreich und der Schweiz immer gehandhabt wurden? Ein Vertrag über Niederlassungsverhältnisse besteht nicht zwischen beyden Staaten und es musste sich daher naturgemäss das Verhältnis so bilden, dass man die gegenseitigen Angehörigen duldet, solange sie nicht hinreichenden Grund zu Beschwerden darbieten. Über letztes zu entscheiden ist Sache der Behörden des Domicils und nicht des heimathlichen Staates. Wo Verträge bestehen, können nur die darin enthaltenen Gründe zur Wegweisung berechtigen, wiewohl auch hier es immer die Behörde des Domicils ist, welche über deren faktisches Vorhandenseyn im einzelnen Fall entscheidet. Wo keine Verträge bestehen, entscheidet die gewissenhafte Überzeugung der Regierung über die Erheblichkeit der Ausweisungsgründe, wobei sich von selbst versteht, dass sie die Sachlage nach den Bedürfnissen und der Anschauungsweise ihres Landes auffasst, und wenn freundschaftliche Beziehungen stattfinden oder fortdauern sollen, so ist es unumgänglich nothwendig, dass jede Regierung dieses Recht exceptioneller Ausweisung einzelner Personen anerkenne und das Vertrauen hege, dass solche Entscheidungen durch erhebliche Gründe motivirt seyen. Dieses Recht ist von den K.K. Östreichischen Behörden der Schweiz gegenüber stets im vollsten Maasse angewendet worden und es dürfte leicht seyn, nachzuweisen, dass eine Menge von Schweizerbürgern von Polizey wegen aus den Kaiserlichen Staaten ausgewiesen wurden, ohne dass sie Verbrechen oder Vergehen begangen hatten oder dass sie wegen Dürftigkeit denselben zur Last gefallen wären. Dasselbe Recht muss auch der Schweiz zustehen und es kann um so weniger Grund zu einer Beschwerde bilden, als im vorliegenden Falle ein völlig genügendes Motiv, nämlich die verderbliche Wirksamkeit der Kapuziner im Tessin, vorliegt. Die Beschwerde muss aber noch mehr auffallen, wenn man ein ganz analoges Verhältnis ins Auge fasst und die Frage stellt: sind die tessinischen Geistlichen berechtigt, in der Lombardie und zwar in der Diöcese von Mailand und Como, der sie angehören, ihren Beruf als Priester auszuüben? Dieses ist nun keineswegs unbedingt der Fall, sondern nur, wenn sie das östreichische Staatsbürgerrecht erwerben, wozu unter ändern Bedingungen ein zehnjähriger Aufenthalt erforderlich ist. Von Tessin dagegen wird verlangt, dass dieser Kanton unbedingt lombardische Geistliche dauernd funktioniren lasse und die diesfällige Weigerung, welche sich auf einige Individuen bezieht und auf deren Verhalten gründet, wird als «schreiende Rechtsverletzung» bezeichnet.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass, wenn die fraglichen Kapuziner nicht östreichische Unterthanen sind, hierseits kein Bedenken obwaltet, sie unter Vorbehalt weiterer Untersuchung über ihre Staatsangehörigkeit wieder aufzunehmen, dass aber im entgegengesetzten Fall die stattgefundene Ausweisung auf hinreichenden Gründen beruht und mit den bisher zwischen beyden Staaten beobachteten Grundsätzen über Niederlassung nicht im Widerspruch steht.
Der Schweizerische Bundesrath hegt daher die Erwartung, dass die K.K. Behörden nach Anhörung obiger Gründe, die ihnen, wenigstens theilweise unbekannt seyn mussten und nach weiterer Prüfung der Sache sich überzeugen werden, dass die Regierung von Tessin weder ein Unrecht noch eine Beleidigung beabsichtigte oder beging, sondern dass sie in Bezug auf den Aufenthalt Fremder die nämlichen Grundsätze anwandte, welche die K.K. Östreichischen Behörden unter Umständen gegen die Schweizer anwenden, das Recht in Anspruch nehmend, im gegebenen Fall zu entscheiden, ob der Aufenthalt von Fremden wegen ihres Verhaltens von nachtheiliger Wirkung sey und erheblichen Grund zur Beschwerde darbiete. Aus diesen Gründen müsste daher der Schweizerische Bundesrath die Ausführung der beygefügten Drohung, auf dem Wege der Repressalie alle Tessiner, gleichviel ob ein Grund gegen sie vorliege oder nicht, aus der Lombardie wegzuweisen, als eine durch nichts gerechtfertigte Maassregel und als ein bedauerliches Aufgeben derjenigen Grundsätze betrachten, welche seither die Niederlassungs-Verhältnisse beider Staaten regulirten und eine wesentliche Bedingung des freundnachbarlichen Einvernehmens bildeten.
Auf die schliessliche Anregung, welche Sr. Hochwohlgeb. usw. in Bezug auf die noch ausstehende Antwort über das Seminar in Pollegio gemacht haben, beehrt sich der Schweizerische Bundesrath zu erwidern, dass nach einer jüngst erhaltenen Mittheilung der Bericht der Regierung von Tessin in ganz kurzer Frist einkommen muss, worauf der Bundesrath nicht ermangeln wird, diese Angelegenheit mit aller Beförderung in Behandlung zu nehmen.5 (Schlussformel).
Das Departement beantragt ferner:
1. Der Regierung von Tessin mitzutheilen, dass der Bundesrath in dieser Sache ihre Berechtigung anerkenne und nach besten Kräften bei der Östreichischen Behörde unterstützt habe; dass er jedoch den freundeidgenössischen Wunsch nicht unterdrücken könne, es möchte bey solchen Maassregeln, welche so tief in die internationalen Verhältnisse eingreifen, nicht nur die Frage des Rechts, sondern auch die der Opportunität in politischer Beziehung in reifliche Erwägung gezogen werden.
2. Die Östreichische Note und obige Antwort dem Geschäftsträger in Wien zur Kenntnisnahme mitzutheilen.6
- 1
- E 2/353.↩
- 2
- Lettre du 28 décembre 1852, non reproduite.↩
- 3
- Non reproduite. Publiée dans FF 1853,1, p. 409–411.↩
- 4
- Cf. les annexes au rapport du Conseil d’Etat du Tessin au Conseil fédéral du 7 décembre 1852, non reproduites.↩
- 5
- Cette note est publiée dans FF 1853,1, p. 414–422. Sur le séminaire de Pollegio, cf. No 148, note 2.↩
- 6
- Ces propositions ont été acceptées par le Conseil fédéral dans sa séance du 3 janvier 1853, cf. E 1004 1/13, no 30.↩
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