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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 26, Dok. 19
volume linkZürich/Locarno/Genève 2018
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E1003#1994/26#16* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 1003(-)1994/26 7 | |
Dossiertitel | Beschlussprotokolle II (grün) der Sitzungen des Bundesrates, 1973 (1973–1973) | |
Aktenzeichen Archiv | 4.3 |
dodis.ch/39607 BUNDESRAT
Beschlussprotokoll II der 19. Sitzung vom 16. Mai 1973 – ganzer Tag1
Beschlussprotokoll II der 19. Sitzung vom 16. Mai 1973 – ganzer Tag1
I. Aussprachen
1. Auslandreisen der Mitglieder des Bundesrates2
Als schriftliche Grundlage liegt ein Exposé des Bundeskanzlers3 vor, das im Auftrage des Bundespräsidenten4 ausgearbeitet wurde. Darin wird ein Überblick über die für das Jahr 1973 noch vorgesehenen Auslandreisen der Mitglieder des Bundesrates gegeben, sowie eine Vorschau auf das Jahr 1974. Das Arbeitspapier schliesst mit den Worten: «In formeller Beziehung stellen wir fest, dass für die Teilnahme an internationalen Konferenzen jeweils ein schriftlicher Antrag eingereicht wird5. Dieses Verfahren hat sich unseres Erachtens sehr bewährt. Es stellt sich deshalb die Frage, ob nicht auch für sogenannte «Besuchsreisen» inskünftig das gleiche schriftliche Verfahren gewählt werden sollte. Es wäre dies sicher für das Kollegium der beste Weg, um die Sache in Griff zu bekommen». In seinen ergänzenden Äusserungen verweist Herr Bundeskanzler Huber auf das kritische Echo auf die Auslandsreisen der Bundesräte, das in den letzten Wochen in der Presse festzustellen war. Die Frage, ob weniger Reisen in Aussicht genommen werden sollen, ist aber eine Angelegenheit des Bundesrates selbst.
Herr Bundesrat Tschudi dankt für die Unterlage des Bundeskanzlers und unterstützt vorweg den Antrag, dass auch für die «Besuchsreisen» inskünftig dem Bundesrat ein schriftlicher Antrag unterbreitet werden soll. Das negative Echo in der Öffentlichkeit zeigt, dass offenbar weite Kreise noch der Meinung sind, die Bundesräte sollten nicht ins Ausland reisen6. Es ist dies einerseits ein Ausdruck der Kleinlichkeit, die noch weit verbreitet ist – anderseits haben die Leute in dem Sinne recht, dass eine Regierung mit nur 7 Mitgliedern nicht die gleiche internationale Tätigkeit entfalten kann wie eine Regierung mit 15 oder 20 Mitgliedern. Auch Herr Bundesrat Brugger ist einverstanden mit der Einführung eines formellen Antragsverfahrens über Besuchsreisen. Die Tabelle der Bundeskanzlei7 gibt seines Erachtens im übrigen zu keiner Beunruhigung Anlass. Die Kritik ist namentlich deshalb gekommen, weil gleichzeitig drei Bundesräte miteinander reisten. Man muss dem Volk aber auch sagen, dass die internationalen Verpflichtungen heute bedeutend intensiver geworden sind, so dass auch mehr Reisen ins Ausland notwendig sind. Herr Brugger fragt sich in diesem Zusammenhang, ob er die Einladung zu einem Besuch der Industrieausstellung in São Paulo (Brasilien) annehmen wolle8. Er zögert heute mehr denn je. Herr Bundesrat Gnägi ist ebenfalls einverstanden mit dem schriftlichen Antragsverfahren. Auch er hatte den Eindruck, dass das Zusammenfallen von drei Auslandreisen von Mitgliedern des Bundesrates die Kritik in der Öffentlichkeit geradezu provozierte. Eine gewisse Zurückhaltung ist sicher am Platz. Herr Bundesrat Graber sieht für das Jahr 1974 bereits 4 Reisen vor9. Sind diese vier alle notwendig? Herr Bundeskanzler Huber macht darauf aufmerksam, dass bei der Ansetzung von Auslandsreisen soweit immer möglich der Mittwoch «geschont» werden sollte. Man kann nicht den Parlamentariern immer wieder in Erinnerung rufen, dass sie die Mitglieder des Bundesrates am Mittwoch nicht für Kommissionssitzungen beanspruchen sollten, gleichzeitig aber Auslandsreisen auf diese Tage legen, ohne dass in parlamentarischen Kreisen eine negative Reaktion eintritt. Herr Bundesrat Graber verweist darauf, dass die Bundeskanzlei alle zwei Monate einen Überblick über alle Reisen der Mitglieder des Bundesrates erstellt. Jetzt wird so diskutiert, wie wenn diese gegenseitige Orientierung gar nicht bestände. Der Chef des EPD ist durchaus einverstanden mit dem Gebot zur Zurückhaltung, hält aber dafür, dass sich diese Auslandsreisen nicht in irgendwelchen Richtlinien einfangen lassen. Einverstanden ist er hingegen mit dem schriftlichen Antragsverfahren gemäss dem Arbeitspapier des Bundeskanzlers. Herr Bundespräsident Bonvin stellt im Sinne einer Zwischenbemerkung fest, dass die wahrheitswidrigen Behauptungen über den «Alleingang» von Herrn Bundesrat Graber nach Kairo offiziell bereits dementiert worden sind. Herr Graber hält dafür, dass der Charakter seiner Reise nach Kairo10 offenbar nicht ganz bekannt gewesen ist. Der Grund lag im Botschaftertreffen, wenn er aber in einen andern Staat reist, wird er stets auch seinen Kollegen, den dortigen Aussenminister11, begrüssen sowie die übrigen protokollarischen Besuche zu absolvieren haben. So sieht das ägyptische Protokoll stets nebst dem Besuch beim Staatspräsidenten12 auch einen Besuch beim Generalsekretär13 der arabischen Liga vor. Besonders bedauerlich war, dass der Pressedienst einer Regierungspartei ohne jede Abklärung des Sachverhalts in wahrheitswidriger Weise polemisierte. Herr Bundespräsident Bonvin hält dafür, dass die Reise von Herrn Graber nach Kairo für die schweizerische Neutralität als positiver Faktor zu werten ist. Herr Bundesrat Celio hat beim freisinnigen Pressedienst wegen der Angriffe gegen Herrn Graber interveniert. Man hat ihm darauf präzisierend gesagt, der freisinnige Pressedienst habe nicht formell erklärt, dass Herr Graber ohne Mandat gereist sei, er habe lediglich das offizielle Mandat in Frage gestellt. Schlimm wurde dann die Sache, als die Depeschenagentur den Artikel des freisinnigen Pressedienstes übernahm und in ihrer Formulierung den Anschein erweckte, die Reise von Herrn Graber sei ohne Wissen und Zustimmung seiner Kollegen erfolgt. Bezüglich der Opportunität der Reise nach Kairo kann man Zweifel hegen – jetzt hinterher ist es aber leicht, zu philosophieren. Die Reise an sich war übrigens durchaus in Ordnung, was zu befürchten war, waren aber die Spekulationen, die darum herum angestellt wurden. Sie sind auch prompt eingetroffen. Auf Grund der Reportagen des Fernsehens entstand durchaus die Meinung, Herr Graber sei in Kairo im Sinne eines Vermittlungsmandats für den Nahen Osten tätig. In dieser Richtung wirkten sich insbesondere die offiziellen Empfänge aus, die im Fernsehen lang und breit ausgestrahlt wurden. Auch Herr Bundesrat Brugger unterstreicht, dass durch die Fernsehreportagen die Gewichte der Reise nach Kairo in der Öffentlichkeit verschoben wurden. Die Ägypter hatten offenbar ein Interesse daran, den Höflichkeitsbesuch von Herrn Graber in einen Staatsbesuch umzubiegen und ihn zu Propagandazwecken zu missbrauchen. Als er, Herr Brugger, nach Moskau reiste, haben die Russen in verschiedener Hinsicht versucht, seinen Besuch ebenfalls in dieser Richtung auszunützen14. Herr Bundespräsident Bonvin fragt sich, ob man der Presse bei Besuchen dieser Art vermehrte Dokumentation abgeben sollte. Herr Bundeskanzler Huber erinnert daran, dass die Presse durch ein Communiqué schon vor der Abreise von Herrn Graber ausdrücklich darüber informiert wurde, dass mit dieser Reise keinerlei Vermittlungsversuch verbunden sei. Auch von mehr Dokumentation ist leider nicht viel zu erwarten. Herr Bundesrat Graber ist gleicher Meinung. Die Presse wurde vor seiner Abreise sehr gut orientiert, und nicht nur ein einziges Mal. Erschreckend war aber auch, dass das Fernsehen eine Equipe für eine ganze Woche nach Kairo sandte. Es kommt dies einer skandalösen Geldverschleuderung für die paar Bilder gleich, die nötig waren – ganz zu schweigen vom tort moral, der ihm durch diese Equipe beigefügt wurde.
Der Rat bespricht dann die Übersicht über die Reisen, welche die Bundeskanzlei zusammengestellt hat. Dabei fällt auf, dass der Chef des EPD in der gleichen Woche in Bonn und Tel Aviv sein wird. Es wird beschlossen, die Reise nach Bonn auf den November zu verschieben15.
Herr Bundesrat Tschudi gibt in diesem Zusammenhang bekannt, dass er eine Einladung des Erziehungsministers von Rumänien16, der nun ohnehin durch einen neuen Titular ersetzt worden ist, absagen werde.
[…] 17
- 2
- Zur Frage der Besuchsdiplomatie vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 164, dodis.ch/31628; DDS, Bd. 24, Dok. 45, dodis.ch/32145, bes. Anm. 5; DDS, Bd. 25, Dok. 114, dodis.ch/35519; die Antwort des Bundesrats vom 25. Juni 1973 auf die Interpellation Carruzzo vom 4. Juni 1973, dodis.ch/39918; die Notiz der Bundeskanzlei vom 7. Juni 1973, dodis.ch/39919; die Schreiben von P. Thévenaz an P. Graber vom 5. Dezember 1974, dodis.ch/38202 sowie vom 18. Februar 1975, dodis.ch/38233.↩
- 3
- Exposé von J.- M. Sauvant vom 16. Mai 1974, CH-BAR#E7001C#1985/231#278* (11.32).↩
- 4
- E. Brugger.↩
- 5
- Für den Entscheid zur Einführung eines Antragsverfahrens bei Auslandreisen vgl. das BR-Prot. Nr. 795 vom 16. Mai 1973, dodis.ch/39917.↩
- 6
- Vgl. dazu z. B. das Schreiben von H. Bohren an P. Graber vom 26. Januar 1975, dodis.ch/39920.↩
- 7
- Übersicht der Bundeskanzlei vom 8. Mai 1973, CH-BAR#E7001C#1985/231#278* (11.14).↩
- 8
- Zur Teilnahme von Alt- Bundesrat H. Schaffner an der Industrieausstellung vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 40, dodis.ch/38919.↩
- 10
- Zur Reise von P. Graber nach Ägypten vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 14, dodis.ch/39250.↩
- 12
- M. A. el-Sadat.↩
- 14
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 34, dodis.ch/38769.↩
- 15
- Vgl. dazu das BR-Prot. Nr. 796 vom 16. Mai 1973, CH-BAR#E1004.1#1000/9#794*.↩
- 16
- M. Maliţa. Zur Einladung vgl. das Schreiben von H. P. Tschudi an P. Graber vom 5. März 1973, CH-BAR#E2003A#1988/15#936* (o.301).↩
- 17
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/39607.↩
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