Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 24, doc. 135
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
Dettagli… |▼▶2 collocazioni
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#J1.301#2003/74#34* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR J 1.301(-)2003/74 9 | |
Titolo dossier | Vorträge I.Teil (1969–1969) | |
Riferimento archivio | 51 |
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001E#1980/83#61* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(E)1980/83 10 | |
Titolo dossier | West-Ost-Handel. Lieferung exportverbotener Güter nach Oststaaten (1968–1970) | |
Riferimento archivio | A.14.62.3.0 |
dodis.ch/33630
Referat des Delegierten des Bundesrats für Handelsverträge, R. Probst, vor der Gruppe Biel der Neuen Helvetischen Gesellschaft vom 25. März 19691
Das Verhältnis der Schweiz zu den Oststaaten
[...] 2
Es mag nach diesem gedanklichen Höhenflug vermessen erscheinen, zum Abschluss Ihre Aufmerksamkeit noch auf etwas so Konkretes und Materialistisches zu lenken wie unsern Handelsverkehr mit den Oststaaten3. Beweist nicht gerade der Umstand, dass wir mit dem Osten Handel treiben, ihm die Erzeugnisse unserer Industrie liefern, bei ihm kaufen, damit Geld verdienen, dass uns, wenn es um den Profit geht, der Sinn für das Höhere schwindet? Sie kennen diese Töne; man hört sie, auch bei uns, nicht selten. Es mag ein Kern Wahrheit, mitunter auch mehr darin stecken.
Indes muss man die Dinge auch wieder sehen, wie sie sind. Schliesslich ist die Schweiz ein Land, für dessen wirtschaftliche Existenz der Aussenhandel aus naturgegebenen Gründen im wahrsten Sinne des Wortes vital ist. Doch gilt diese Betrachtungsweise nicht nur merkantilistisch (wobei ich den Ausdruck keineswegs bloss abschätzig verstanden wissen möchte). Darüber hinaus hat gerade unsere schon frühzeitig einsetzende intensive Verquickung mit dem Welthandel, die für ein Binnenland ohne Rohstoffe und Naturschätze nur durch persönliche Initiative, Individualismus, Wagemut und Liberalismus zu erreichen war, schon bald zu einer gewissen Weltläufigkeit und Weltoffenheit geführt, die aus ihrem eigenen Werte heraus weiterwirken kann. Sogar im Verkehr mit dem Osten könnte dies, auch wenn wir uns selbst nicht überschätzen wollen, eine Ausstrahlung zeitigen.
Fassbarer scheint mir eine andere, nüchternere Überlegung. In den grimmigsten Zeiten des kalten Krieges mochte es einen gewissen Sinn haben, dem Osten den Zugang zu dem, was strategisches Material genannt wurde, zu verwehren, obwohl sich gerade die Schweiz aus Gründen der Neutralitätspolitik in dieser Hinsicht eine gewisse Autonomie wahren musste4. Heute stehen aber dem Osten praktisch alle Türen offen. Die westlichen Mächte bemühen und überbieten sich, dem Osten ihre Erzeugnisse zu offerieren. Ein Abseitsstehen der Schweiz aus ideellen Gründen wäre deshalb unter den gegenwärtigen Umständen völlig wirkungslos. Der Osten könnte sich, was wir zu offerieren haben, nicht nur mühelos anderswo beschaffen; wir würden selbst auf den östlichen Märkten, auf denen wir ohnehin bereits einen Rückstand aufweisen, unsere potentiellen Chancen für die Zukunft von vorneherein zugunsten unserer westlichen Konkurrenten einbüssen. Schon unser wirtschaftliches Interesse spricht also dafür, jenen beträchtlichen Teil unserer Erdkugel, der politisch dem Osten zugehört, nicht zu vernachlässigen. Auch die stagnierende integrationspolitische Situation in Westeuropa5 macht es für uns zur Notwendigkeit, die äusseren Märkte zu pflegen.
Der Handelsverkehr bringt auch menschlichen Kontakt. Er ist heute oft sogar einer der wenigen Wege, die ihn ermöglichen. Was der Kontakt dem Menschen im Osten an Zuversicht bieten kann, habe ich schon angedeutet. Hinzu kommt eine weitere Dimension. Der modernen Industriegesellschaft wohnt eine Dynamik inne, die auf die Dauer ein Regime des Zwanges, das Joch überholter Doktrinen, welche den wirtschaftlichen Fortschritt hemmen, nicht ertragen kann. Nun entwickeln sich aber auch die Sowjetunion und die osteuropäischen Staaten unvermeidlich immer rascher zu modernen Industriegesellschaften. Durch den wirtschaftlichen Kontakt mit dem Westen, dem sich der Osten in manchem Bereiche angleichen muss, wenn seine Leistungsfähigkeit Schritt halten soll, wird die Entwicklung beschleunigt. Der Handelsaustausch spielt in diesem Prozess eine bedeutsame Rolle. Es entstehen neue Bedingungen, die auf längere Sicht wohl auch eine gewandelte Beziehung und eine intensivere Verquickung bewirken können.
Mit diesen Hinweisen möchte ich keinesfalls etwa einer Apologie des Osthandels das Wort reden. Denn ich glaube, dass er dessen nicht mehr bedarf6. Auf der andern Seite dürfen die Erwartungen, die man an den Osthandel knüpft, auch nicht übertrieben werden7. Einem raschen Fortgang stehen viele Hindernisse entgegen. Die Wirtschaft ist in der östlichen Welt nach wie vor etwas anderes als in der westlichen. Eine formale Annäherung ist zwar im Gang. Der Osten sah sich genötigt, seine Industrie zu modernisieren, zu rationalisieren, zaghaft gewisse Wettbewerbselemente einzuführen und die individuellen Konsumbedürfnisse im Rahmen seiner Planwirtschaft stärker zu berücksichtigen. Man erkannte auch, dass eine intensivere Aussenhandelsverflechtung mit den westlichen Industriestaaten anstelle einer rein östlichen Autarkie den technischen Fortschritt fördern und das gesamtwirtschaftliche Wachstum beschleunigen könnte. Die freie Marktwirtschaft ihrerseits hat seit der Weltwirtschaftskrise einsehen gelernt, dass das Prinzip des Wettbewerbs als Organisationsmittel von Massen gesellschaften nur funktionsfähig ist, wenn eine klare Rahmenordnung die freie Konkurrenz sicherstellt und eine geeignete Sozialpolitik die Einkommensverteilung angemessen ausgleicht.
In allen grundsätzlichen Fragen hingegen bleiben die wesentlichen Systemunterschiede bestehen. Damit ist der Spielraum für die wirtschaftspolitische Auseinandersetzung weiterhin recht eng. Einer Ausdehnung der West-Ost-Beziehungen sind neben allen politischen und ideologischen Behinderungen in der Sache selbst Grenzen gesetzt.
Schon die Motive der Produktion und der wirtschaftlichen Tätigkeit sind verschieden. Für den Westen steht das Streben des Einzelnen, handle es sich um ein Individuum oder ein Unternehmen, nach ökonomischer Selbstbehauptung im Vordergrund. Eine gewisse, seit Jahrzehnten wachsende Solidarität und zwischenmenschliche Rücksichtnahme haben das Bild zwar gemildert. Im Prinzip ist aber der Einzelne im stählenden Wettbewerb auf seine eigenen Qualitäten gestellt.
Völlig anders ist die Lage im Osten. Auch wenn dort eine Dezentralisation Platz greifen sollte, bleiben die Fundamente unverändert. Die einzelnen Unternehmen sind in eine Gesamtkonzeption der wirtschaftlichen Entwicklung eingespannt. Ihr Daseinszweck und zentrales Motiv bleibt Dienst an der anonymen, staatlichen Kollektivität, die dem Individuum vorgeht.
Daraus folgt, dass man auch an den Aussenhandel mit gänzlich verschiedenen Voraussetzungen herantritt. Für den westlichen Geschäftsmann geht es beim Osthandel in erster Linie um eine private Operation. Anders für den Ostpartner: für ihn gehört der Westhandel, wie aller Binnen- und Aussenhandel, zur zentralen Planung. Dazu kommt, dass der Aussenhandel im kommunistischen Osten grundsätzlich sekundäre Bedeutung aufweist. Er ist irgendwie Ausdruck eines momentanen Mangels, und man sollte ihn möglichst rasch durch Eigenproduktion, zumindest innerhalb des kommunistischen Wirtschaftsraumes, überflüssig machen. In letzter Zeit ist freilich ein gewisser Wandel sowie eine langsam zunehmende Einsicht in das wirtschaftliche Prinzip der internationalen Arbeitsteilung, und zwar über den Kreis des kommunistischen Binnenhandels hinaus, bemerkbar. Es bleibt aber doch symptomatisch, dass die Sowjetunion, einer der Giganten unserer Welt, 1967 zwar einen gesamten Aussenhandel nach beiden Richtungen (also Importe und Exporte zusammen) im Umfang von rund 18 Milliarden US Dollar aufwies, woran aber die nicht-kommunistischen Staaten (also die westlichen und die Entwicklungsländer) nur mit 5,8 Milliarden Dollar partizipierten. Das Aussenhandelsvolumen der bevölkerungsmässig 40mal kleineren Schweiz betrug demgegenüber im gleichen Jahr insgesamt rund 7,7 Milliarden Dollar. Im internationalen Vergleich ist die sowjetische Aussenhandelsintensität somit noch gering. Um einen anderen Vergleich heranzuziehen, betrug der sowjetische Aussenhandelsumsatz je Einwohner 1966 rund 70 Dollar, während die gleiche Verhältniszahl beispielsweise für die Schweiz 1’170 Dollar und für die Bundesrepublik 640 Dollar ausmachte.
Aus der grundsätzlichen Verschiedenartigkeit der Wirtschaftssysteme in Ost und West fliessen auch zahlreiche praktische Schwierigkeiten. Zu nennen sind namentlich der schwerfällige sowjetische Einkaufsapparat, das dem euro päischen Markt oft kaum gerecht werdende östliche Güterangebot und so manches andere, womit sich der kommerzielle Praktiker zu plagen hat.
Wie hat sich, angesichts dieser Hemmnisse, der schweizerische Osthandel entwickelt? Gestatten Sie mir nur einige ganz summarische Hinweise. Auf seinen tiefsten Stand fiel er 1962/63, als die osteuropäischen Staaten nur noch mit 1,9% am schweizerischen Gesamtimport und mit 2,6% am Export beteiligt waren. In den letzten Jahren ist dieser Rückgang wieder aufgefangen worden, ohne freilich das weit höhere Niveau vor dem Zweiten Weltkrieg zu erreichen, nicht zu sprechen von der Periode vor dem Ersten Weltkrieg, als Russland allein beispielsweise 10% unserer gesamten Uhrenausfuhr abnahm.
Immerhin hat sich der prozentuale Anteil des schweizerischen Exports nach den Oststaaten, d. h. nach der Sowjetunion und ihren europäischen Satelliten, in den letzten Jahren überdurchschnittlich entwickelt. Der Ausfuhrwert stieg 1968 auf den bisher höchsten Stand von 607 Mio. Fr., was 3,5% der schweizerischen Gesamtexporte entspricht. Zählt man die Ausfuhr nach Jugoslawien, das einen Sonderfall darstellt, aber auch nach China und den anderen ost asiatischen kommunistischen Ländern hinzu, so ergibt sich ein Total von 872 Mio. Fr. und ein entsprechender Anteil von 5% unserer Gesamtexporte nach der ganzen Welt.
Der Import aus den europäischen kommunistischen Staatshandelsländern ist niedriger. Vergangenes Jahr erreichte er den Wert von 388 Mio. Fr. Dies sind 2% des schweizerischen Gesamtimports. Berücksichtigt man ausserdem wiederum Jugoslawien, China und die andern kommunistischen Staaten Asiens, so gelangt man auf rund 518 Mio. Fr. oder einen Anteil von 2,7% unserer Totalimporte.
In diesen steigenden Handelswerten, die aber am Ganzen gemessen weiterhin recht gering sind, findet allmählich doch eine vermehrt national gefärbte Auflockerung der kommunistischen Gesamtplanung, namentlich seitens der europäischen Satelliten, ihren Widerhall. Die Wirtschaftspolitik dieser Länder beginnt sich aus ihrer Erstarrung zu lösen und gerät langsam in Bewegung. Auf der Exportseite steht bezeichnenderweise Jugoslawien8, das sich auf dem Wege der politischen Emanzipation und der wirtschaftlichen Liberalisierung am weitesten vorgewagt hat, mit 180 Mio. Fr. als Kunde der Schweiz an der Spitze. Die UdSSR9 und die Tschechoslowakei10 halten sich mit 116 bzw. 111 Mio. die Waage, gefolgt von Rumänien11 mit fast 100 Mio. Wenn man von der Sowjetunion absieht, deren Käufe im Verhältnis zu ihrer Dimension kaum sehr eindrücklich erscheinen, so drängen sich neben Jugoslawien bezeichnenderweise, mit der Tschechoslowakei und Rumänien, die beiden am stärksten nach Bewegungsfreiheit strebenden Satellitenstaaten in den Vordergrund.
Ein ähnliches Phänomen zeigt sich auf der Importseite, wo die Tschechoslowakei mit 123 Mio. mehr als den doppelten Wert der sowjetischen Verkäufe nach der Schweiz aufweist. Die Tschechoslowakei ist übrigens der einzige osteuropäische Staat, der im Handel mit der Schweiz einen Aktivsaldo verzeichnet. Mit allen andern Ländern ist das Verhältnis umgekehrt.
Es ist anzunehmen, dass das Volumen des Osthandels weiter anwachsen wird. Solange freilich in den Oststaaten generell ein unbewegliches System unserer freiheitlichen Konzeption gegenübersteht, bleiben der Ausweitung recht enge Grenzen gesetzt. Mit allzu grossen Verschiebungen ist daher nicht zu rechnen. Immerhin entspricht der Osthandel, auch realistisch betrachtet, noch nicht den vorhandenen Möglichkeiten. Jede Steigerung sollte aber gleichzeitig schweizerischerseits mit dem Bestreben parallel gehen, unsere eigenen Interessen gegenüber diesen Staaten angemessen zu verteidigen.
[...] 12
- 1
- Referat: J1.301#2003/74#34* (51). Der Referatstext wurde an die schweizerischen Vertretungen im Ausland und an hochrangige Beamte von Politischem und Volkswirtschaftsdepartement versandt. Vgl. das Kreisschreiben Verhältnis der Schweiz zu den Oststaaten von R. Probst an die schweizerischen diplomatischen Vertretungen vom 2. April 1969, E2001E#1980/83#61* (A.14.62.3.0).↩
- 2
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/33630.↩
- 3
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 48, dodis.ch/32688; das Protokoll der Sitzung der schweizerischen Delegation beim Europarat vom 8. März 1967, dodis.ch/33633; das Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe «Historische Standortbestimmung» vom 6. Juli 1968, dodis.ch/33634; das Referat von M. Troendle vom 6. Juli 1968, dodis.ch/33635; das Referat von A. Grübel vom 6. Juli 1968, dodis.ch/33636; den Bericht von R. Schwertfeger vom 7. August 1968, dodis.ch/33632 und den Artikel von H. Schaffner, dodis.ch/33631.↩
- 4
- Zum sogenannten Gentlemen’s Agreement bezüglich des Ost-West-Handels vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 189, dodis.ch/33136.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 145, dodis.ch/33236.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 22, Dok. 44, dodis.ch/30154, bes. Anm. 4 und 5 sowie DDS, Bd. 24, Dok. 88, dodis.ch/30156, Anm. 2.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 48, dodis.ch/32688.↩
- 8
- Zu den Handelsbeziehungen mit Jugoslawien vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 170, dodis.ch/32381.↩
- 9
- Zu den Handelsbeziehungen mit der UdSSR vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 44, dodis.ch/32783, bes. Anm. 7.↩
- 10
- Zu den Handelsbeziehungen mit der Tschechoslowakei vgl. die Notiz von L. Roches vom 10. September 1969, dodis.ch/32182.↩
- 11
- Zu den Handelsbeziehungen mit Rumänien vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 140, dodis.ch/32536, Anm. 11.↩
- 12
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/33630.↩
Tags
Commercio Est-Ovest (1945–1990)
Organisazioni europee Russia (Generale) Russia (Economia)