Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 65
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1980/83#403* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1980/83 96 | |
Dossier title | Auswanderungspolitik (1968–1970) | |
File reference archive | B.31.12.0 |
dodis.ch/32326 Interne Notiz des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit des Volkswirtschaftsdepartements1 Rekrutierung von hochqualifiziertem Personal für ausländische Firmen durch Inserate in der schweizerischen Presse
I. In der Neuen Zürcher Zeitung Nr. 43 vom 21. Januar 1968 ist ein Inserat von beträchtlicher Grösse erschienen, das auf eine Reihe von freien Stellen aufmerksam macht, die die Flugzeugwerke Boeing Co. Seattle, Wash[ington], USA auf verschiedenen Fachgebieten an Techniker und Ingenieure zu vergeben haben. Das gleiche Inserat ist mehrmals erschienen. Anmeldungen sind zu richten an: C. Mangum, Dept. EAO, The Boeing Company c/o Boeing International Corporation, 17, Avenue Matignon, Paris 8, France. Periodische Interviews zwischen dem vorerwähnten Vertreter der Boeing und den Bewerbern finden jeweilen in einem Hotel in Zürich statt.
Solche und ähnliche Fälle von systematischer und organisierter Werbung sind bis anhin wohl sporadisch aber doch nur in grösseren Zeitabständen aufgetreten. Unsere Unterabteilung2 ist dann jeweilen bei den betreffenden Pressestellen und/oder Inseraten-Auftraggebern vorstellig geworden und hat unter Bezugnahme auf Art. 10 des Bundesgesetzes betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen vom 22. März 18883 bzw. Art. 42 der Vollziehungsverordnung4 zum vorerwähnten Gesetz die Einstellung solcher Werbekampagnen verlangt.
II. Nachdem Publikationen wie sie die Boeing Co. im vorliegenden Fall vorgenommen hat in letzter Zeit häufiger geworden sind, hat es unsere Unterabteilung als angezeigt erachtet, das von ihr in solchen Fällen zu erwartende Verhalten mit anderen interessierten Behördevertretern zu besprechen. Zu diesem Zweck haben sich auf Wunsch unserer Unterabteilungsleitung am Freitag, den 26. Januar 08.30 Uhr zusammengefunden:
Herr Dr. G. Pedotti, Chef der Unterabteilung Arbeitskraft und Auswanderung
Herr Fürspr[echer R. Merlin, Arbeitskraft und Auswanderung
Herr P. Fuhrer, Arbeitskraft und Auswanderung
Herr Dr. P. Dietschi, EPD, politischer Dienst West
Herr O. Uhl, (in Abwesenheit von Herrn Dr. E. Vallotton) EPD, internat[ionale]Org[anisationen
Herr Dr. P. Saladin, Sekretär des schweiz[erischen Wissenschaftsrates
Von allen Teilnehmern dieser Besprechung wurde das bisher in solchen Fällen von unserer Unterabteilung angewandte Verhalten gutgeheissen und aus folgenden Gründen auch für die Zukunft als richtig bezeichnet:
– Die Abwanderung von Technikern, Ingenieuren und Wissenschaftern hält seit Jahren unvermindert an. In prozentualen Verlustzahlen steht die Schweiz an dritter Stelle hinter Grossbritannien und Westdeutschland. Diese Abwanderung verschärft die ohnehin schon ungünstige Lage auf dem Arbeitsmarkt und verursacht den schweizerischen Arbeitgebern bei der Rekrutierung solcher Fachkräfte wachsende Schwierigkeiten. In gewissen Sparten unserer Industrie sind über 40% ausländische Ingenieure zu verzeichnen, die mangels einheimischen Bewerbern eingestellt werden mussten. Die Rückgewinnungsbestrebungen, die das BIGA gemeinsam mit der Schweizerischen Botschaft in Washington seit ca. 5 Jahren für die in Nordamerika ansässigen schweizerischen Wissenschafter, Ingenieure und Techniker eingeleitet hat, sind bis anhin nur sehr mühsam und mit bescheidenem Ergebnis verlaufen.
– Eindeutig kam bei der Besprechung zum Ausdruck, dass eine Auswanderung nicht verhindert werden darf. Oft handelt es sich auch um junge Kräfte, die spontan eine Auswanderungsmöglichkeit suchen, um ihre beruflichen Fähigkeiten zu erweitern, mit denen sie später wieder in die Schweiz zurückkehren. Zwischen einem spontanen Auswanderungsinteressenten und den Bewerbern, die auf Inserate wie dasjenige der Boeing Co. ansprechen, liegt jedoch grundsätzlich der Unterschied, dass sich die letztgenannten bis anhin oft gar nicht mit dem Gedanken der Auswanderung getragen haben, sondern dass ihnen dieser erst durch das Erscheinen eines solchen Inserates suggeriert wird.
– Auch im vorliegenden Fall wird unsere Unterabteilung ihre Missbilligung nicht lediglich auf die prekären Verhältnisse auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt stützen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass junge Schweizer dazu neigen, einen Arbeitsvertrag mit dem inserierenden Arbeitgeber einzugehen, ohne über die problematischen Bestimmungen betreffend die Pflicht zur Dienstleistung in der amerikanischen Armee genügend informiert zu sein5. Auch ist es nicht ausgeschlossen, dass einige unserer Landsleute sich zu wenig Rechenschaft geben über die hemmungslose amerikanische Personalpolitik hinsichtlich Entlassung zahlreicher Fachkräfte, z. B. im Falle von Abänderung und/oder Streichung gewisser Produktionspläne (die Boeing Co. hat ihre Produktion gegenwärtig auch örtlich aufgeteilt in Defence, Supersonic und Jumbo-Jet Division). Hier handelt es sich um den «Schutz des Auswanderers» durch zuverlässige Informationen, die abzugeben die Aufgabe unseres Auswanderungsdienstes ist.
III. Mr. Carlton W. Mangum, Manager Employment Information Office, Boeing International Co. Paris, befand sich am 26. Januar 1968 in der Schweiz und ist unserer Einladung zu einer Besprechung dieser Angelegenheit nachgekommen. Seitens unserer Unterabteilung waren zugegen: Herr Fürspr[echer Merlin und Herr P. Fuhrer.
Mr. Mangum zeigte volles Verständnis für unser Anliegen und erklärte sich bereit, diese Insertionen sofort einzustellen. Seinem Anliegen, mit den bereits angemeldeten Bewerbern in absehbarer Zeit noch eine Besprechung in Zürich durchführen zu können, haben wir selbstverständlich entsprochen.
Mr. Mangum versicherte seine ernsthafte Absicht, bei seinen Rekrutierungsbestrebungen in den ihm zugeteilten Ländern alles unterlassen zu wollen, was bestimmten Gepflogenheiten widersprechen oder die Missbilligung von Regierungs- oder Wirtschaftsbehörden nach sich ziehen könnte. Die in vorangehendem Abschnitt I erwähnten gesetzlichen Bestimmungen wurden von uns nur am Rande erwähnt und Mr. Mangum hat sich auch nicht näher um deren Wortlaut interessiert.
Auf das erste Inserat sind nach Aussagen von Mr. Mangum etwas über 20 Anstellungen zustande gekommen und auf das zweite Inserat waren nach der ersten Woche bereits ca. 25 Bewerbungen eingegangen (diese Zahl dürfte sich u. E. nach etwas längerer Wartefrist mehr als verdoppeln). Mr. Mangum berichtete erfreulicherweise auch über ausgezeichnete berufliche Ausbildung und gute Anspassungsfähigkeiten, die schweizerische Arbeitnehmer in der Regel mit sich bringen. Tatsächlich bekleide ein schweizerischer Ingenieur bereits eine sehr hohe Stellung innerhalb der Boeing Co.
Mr. Magnum hat auch von der Rekrutierungsmöglichkeiten Kenntnis genommen, die ihm gewissermassen als Kompromiss in der Schweiz zur Verfügung stehen und von denen angenommen werden darf, dass sie wenigstens auf zusehen hin keinen Anstoss erregen werden:
a) Anmeldung der zu vergebenden Stellen bei der Schweizerischen Technischen Stellenvermittlung in Zürich
b) Information über die freien Stellen an unseren Auswanderungsdienst.
Wenn sich einer der in Frage stehenden Berufsangehörigen bereits fest für eine Auswanderung nach den USA entschlossen hat und sich herausstellt, dass er diesen Plan auch ohne Anstellungszusicherung auf Distanz durchzuführen gewillt ist, so kann kaum etwas dagegen sprechen, wenn ihn unser Auswanderungsdienst schon vor seiner Abreise auf potentielle Arbeitgeber aufmerksam macht, anstatt dass der Auswanderer durch unsere «Zensur» wertvolle Zeit für die Arbeitssuche in den USA verliert. Dies dürfte um so mehr zutreffen, wenn es sich um eine Firma wie z. B. die Boeing Co. handelt, die uns von allen Seiten, einschliesslich unserer dortigen Vertretung, als guter Arbeitgeber bezeichnet worden ist.
Durch ein solches Vorgehen, verglichen mit den in vorangehendem Abschnitt I erwähnten und durch die Firma organisierten Werbeaktionen, versprechen wir uns eine beträchtliche Reduktion der effektiven Auswanderzahl. Auch ist zu bedenken, dass unser Auswanderungsdienst bei diesem Vorgehen die Zahl der zustande gekommenen Anstellungen mehr oder weniger verfolgen und nötigenfalls immer noch mit neuen Vorschlägen intervenieren könnte.
IV. Wie bereits erwähnt, sind ähnliche Werbeaktionen wie die der Boeing Co. in letzter Zeit vermehrt aufgetreten. In einem Inserat der NZZ vom 30. Januar 1968 sucht die Ontario Hydro Electric in Kanada eine Anzahl Techniker, Konstrukteure und Ingenieure. Die Bewerber werden eingeladen, ihre Anmeldungen an die Niederlassung der betreffenden Firma in London zu senden, wonach ein dortiger Vertreter in bestimmten Zeitabständen den Interessenten in der Schweiz für eine Besprechung zur Verfügung stehen wird. Durch Vermittlung der kanadischen Botschaft in Bern konnte bereits eine Besprechung zwischen einem Vertreter der Ontario Hydro Electric und unserer Unterabteilung auf 23. Februar 1968, 15.00 Uhr festgesetzt werden. Wir zweifeln nicht daran, dass sich in diesem und allen noch bevorstehenden Fällen eine Verständigung wird finden lassen, wie dies bei Boeing Co. der Fall ist.
Die Besprechung mit den an diesem Problem interessierten Vertretern des EPD und mit dem Sekretär des Wissenschaftsrates war sehr nützlich, gilt es doch, heute vermehrt als früher, die Übersicht über die Probleme der Abwanderung und Rückgewinnung von hochqualifizierten Fachkräften sicherzustellen und entsprechende Bestrebungen oder Massnahmen zwischen den interessierten Stellen zu koordinieren. Die Meinungsäusserungen der vorerwähnten Vertreter dürften als Gutheissung der bisher von unserer Unterabteilung befolgten Politik und deshalb vorläufig auch als richtunggebend für die Zukunft ausgelegt werden.
- 1
- Notiz(Kopie): E2001E#1980/83#403* (B.31.12.0).↩
- 2
- Unterabteilung Arbeitskraft und Auswanderung des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit des Volkswirtschaftsdepartements.↩
- 3
- Bundesgesetz betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen vom 22. März 1888, BS, 10, S. 232–240.↩
- 4
- Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz vom 22. März 1888 betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen vom 10. Juli 1888, BS, 10, S. 241–250.↩
- 5
- Zur Frage der Militärdienstpflicht von Schweizern in den USA vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 37, dodis.ch/33132, Anm. 3.↩