Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 441
volume linkBern 1992
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#14057* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 08.05.1945 (1945–1945) |
dodis.ch/48045 CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 8 mai 19451 1019. Beschlussfassung über Nichtmehranerkennung einer offiziellen deutschen Reichsregierung
Procès-verbal de la séance du 8 mai 19451
Angesichts der weltgeschichtlichen militärischen und politischen Ereignisse ist der Zeitpunkt gekommen, in dem der Bundesrat die Tatsache feststellen kann, dass keine offizielle Reichsregierung mehr besteht. Vom Standpunkt der schweizerischen Souveränität aus dürfte eine jetzige diesbezügliche unabhängige schweizerische Erklärung einer solchen vorzuziehen sein, die auf eine alliierte Proklamation oder auf ein alliiertes Gesuch hin abstellt. Die Regierung Hitlers war eine legale; legal wären als Nachfolger Göring oder Hess, obgleich dieselben lediglich in der Führerrede vor dem Reichstag am 1. September 1939 als solche eingesetzt worden waren. Der Regierung Dönitz fehlt dagegen jede offizielle Unterlage, sei es ein Beschluss des Reichstages, ein Reichsgesetz oder auch nur eine authentische öffentliche Einsetzung durch Hitler. Nach strengen Rechtsregeln könnte zwar noch der Standpunkt eingenommen werden, dass die Frage, ob Dönitz eine legale Regierung vertrete, in erster Linie eine innerdeutsche, also eine staatsrechtliche und weniger eine völkerrechtliche darstelle, und dass zunächst noch die tatsächlichen Entwicklungen abzuwarten seien. Demgegenüber dürfte es heute für den Bundesrat gegeben sein, als Regierung eines demokratischen Staates gegenüber einem zweifelhaften Nachfolger des zusammenbrechenden nationalsozialistischen Regimes nicht nur eine formal-juristische Einstellung, sondern im Hinblick auf die öffentliche Meinung des Schweizervolkes einen politischen Standpunkt einzunehmen. Völkerrechtlich entsteht mit der Erklärung des Bundesrates, dass er keine offizielle Reichsregierung mehr anerkennt, für die Schweizerischen Behörden die Situation, dass das Reich zwar als Staat nicht verschwunden ist, aber keine Regierung mehr hat und damit als Völkerrechtssubjekt nicht mehr handlungsfähig ist. Die gegenseitigen offiziellen Beziehungen fallen dahin. Dagegen bleiben die schweizerisch-deutschen Verträge rechtlich weiter bestehen. Letzteres wäre auch der Fall, wenn die Alliierten ganz Deutschland besetzen und tatsächlich die frühere Staatsgewalt übernehmen und diese Übernahme proklamieren. Denn die Schweizerische Regierung müsste auch nach einer totalen Okkupation und einer entsprechenden Proklamation gegenüber die Auffassung vertreten, dass die Alliierten die frühere Staatsgewalt nur de facto übernommen haben, ohne Rechtsnachfolger des Reichs zu sein, und dass daher die Ausübung der Staatsgewalt durch die Alliierten keine rechtlichen Folgen gegenüber dem neutralen Ausland haben kann.
Praktisch sind nach der Erklärung des Bundesrates, dass er keine offizielle Reichsregierung mehr anerkennt, durch das Politische Departement die folgenden Massnahmen, die den allgemeinen Regeln des Völkerrechts entsprechen, sofort durchzuführen.
1. Die schweizerische Gesandtschaft in Deutschland ist zu schliessen und der Gesandte2 zurückzurufen.
2. Die schweizerischen konsularischen Vertretungen in Deutschland, inbegriffen der Konsulardienst der Gesandtschaft, sind anzuweisen, vorläufig ihre Arbeit ohne offiziellen Charakter im Interesse der Schweizerkolonien fortzusetzen, bis eine Verständigung mit den Okkupationsmächten - ausgenommen Russland - über ihre weitere Tätigkeit erzielt werden kann.
3. Die deutschen Vertretungen in der Schweiz sind zu schliessen und deren amtliche Räume und Archive zu getreuen Händen einer künftigen Rechtsnachfolgerin der nicht mehr anerkannten Reichsregierung in Verwahrung zu nehmen3. Vollziehende Behörde ist bei der Gesandtschaft das Politische Departement und bei den Konsulaten die zuständige kantonale Regierung.
4. Bis zu einer neuen Regelung über die weitere Tätigkeit der deutschen Vertretungen im Interesse der deutschen Kolonie, worüber Verhandlungen mit den Alliierten über einen modus vivendi geführt werden müssen, sind vom Politischen Departement für die provisorische Übergangsperiode zur Weiterführung der laufenden konsularischen Geschäfte Agenten ohne offiziellen Charakter, wenn möglich aus dem bisherigen Beamten-Korps, zu bestimmen.
5. Die Behandlung des Beamtenpersonals der bisherigen Vertretungen erfolgt nach folgenden Regeln:
a) Den Chefs und dem Personal der deutschen Vertretungen, die sich im Zeitpunkt der Schliessung verpflichten, die Schweiz zu verlassen, sind die diplomatischen und konsularischen Vorrechte und Befreiungen noch während 3 Tagen zu belassen.
b) Den Chefs und dem Personal, welche keine Verpflichtung zur Ausreise aus der Schweiz eingehen, sind sämtliche Privilegien ihrer bisherigen Stellung fristlos zu entziehen. Sie sind anzuweisen, ihren Aufenthalt in der Schweiz mit den zuständigen fremdenpolizeilichen Stellen zu regeln.
c) Auf die unter a) erwähnten Beamten wird die unter b) angeführte Regelung nach 3 Tagen angewendet, wenn sie bis dahin die Schweiz nicht verlassen haben.
Gestützt auf diese Ausführungen wird antragsgemäss beschlossen:
Mit sofortiger Wirkung wird eine Erklärung beschlossen, dass der Bundesrat keine offizielle Reichsregierung mehr anerkennt, und dass das Politische Departement die oben unter 1-5 angeführten Massnahmen durchzuführen hat.
Das eidg. Politische Departement wird immerhin den von obigen Massnahmen betroffenen Personen in bezug auf die Verwendung der sich in ihren Händen befindenden Rationierungskarten das nötige Entgegenkommen zeigen.