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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 15
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1003#1994/26#4* | |
Old classification | CH-BAR E 1003(-)1994/26 2 | |
Dossier title | Protokolle der 1.-40. Sitzung des Bundesrates (1964–1964) | |
File reference archive | 4.3 |
dodis.ch/31971
BUNDESRAT
Verhandlungsprotokoll der 14. Sitzung vom 17. Februar 19641 Auszug
Verhandlungsprotokoll der 14. Sitzung vom 17. Februar 19641 Auszug
[…]2
Beschaffung von [Atom-]Waffen3
Grundlage der Aussprache bildet ein geheimer Bericht des EMD vom 5. Dezember 19634 über das Ergebnis der Beratungen der Militärdelegation des Bundesrates5, sowie ein geheimer Bericht der Generalstabsabteilung vom 15. November 19636. Beide Berichte wurden allen Mitgliedern des Rates ausgeteilt.
Herr Chaudetorientiert mündlich und sehr ausführlich über die Angelegenheit. Er bringt insbesondere Ergänzungen an zu den Ausführungen der Generalstabsabteilung über das weitere Vorgehen.
Herr Spühler(Mitglied der Militärdelegation) stellt fest, dass die grundsätzliche Frage die sei, ob und unter welchen Voraussetzungen wir an die Beschaffung dieser Art von Waffen herantreten wollen.
Der Sprechende sei der Meinung, dass für unsere Landesverteidigung der taktische Einsatz dieser Waffen genügen müsse. Wenn wir auch eine Abschreckung damit erreichen wollten, so werde uns der Atem für einen zweiten Schlag ausgehen.
Die Anschaffung dürfe nicht geschehen auf Kosten anderer Waffen. Unsere Verteidigung müsse so flexibel sein, dass der militärische Einsatz dem Angriff angepasst werden könne.
Auch in politischer Hinsicht ergebe sich die Beschränkung auf den taktischen Einsatz. Die Anschaffung dürfe auch nicht auf Kosten unserer Neutralitätspolitik gehen. Man werde als Kleinstaat erst dazu übergehen können, wenn auch andere Kleinstaaten dazu gelangt sind.
Der Sprechende macht aufmerksam auf die Schwierigkeiten in der Frage der Geheimhaltung und in der Frage der praktischen Versuche. Es müsse uns klar sein, dass uns ein sehr langer und sehr schwieriger Weg bevorstehe. Man spreche von 35 Jahren. Auch hier stelle sich die Frage, ob wir den nötigen Atem haben würden. Was das praktische Vorgehen anbelange, scheine ihm der Vorschlag betreffend Vorstudien in der Höhe von 20 Mio. Franken als vertretbar. Damit, dass man diesen Betrag bewillige, dürfe kein Präjudiz verknüpft sein. Der Betrag werde à fonds perdu geleistet und die Entschlussfreiheit des Bundesrates müsse gewahrt bleiben. Der Antrag7 sei vor allem auch deshalb vertretbar, weil das Ergebnis der Studien auch den zivilen Zwecken zugute komme.
Die Abklärung solle so weit wie möglich durch zivile Stellen erfolgen. Jeder Schritt ins Ausland müsse durch das Einverständnis des Bundesrates gedeckt werden.
Herr Spühler wirft weiter die Frage auf, ob durch den heutigen Beschluss der BRB von 19588 nicht aufgehoben werde?
Im Dispositiv Ziffer 39 sollte man nicht sagen, «das EMD wird beauftragt», sondern «werden das EMD, das EDI und das VED beauftragt, wobei die Koordination jeweilen bei den am meisten interessierten Departementen liegen solle».
Herr Bonvin(Mitglied der Militärdelegation) verbreitet sich vor allem über die Frage der Abklärung der abbauwürdigen Vorkommen von spaltbarem Material in der Schweiz. Er glaubt, dass man ausbeutungswürdige Lager finden werde, wenn man die Anstrengungen vergrössere.
Was die allgemeine Organisation betreffe, so solle man soviel wie möglich auf die zivilen Stellen abladen. Es wäre viel leichter, als wenn man mit der militärischen Forschung vorgehen wollte.
Was das Programm betreffe, so müsse man sich anstrengen, zu einem detaillierten Arbeitsprogramm und detaillierten Voranschlag zu kommen.
Herr Tschudibemerkt, dass sich aus dem Bericht der Generalstabsabteilung über das weitere Vorgehen10 und den entsprechenden mündlichen ergänzenden Angaben von Herrn Chaudet ergebe, dass ziemlich viel von den Hochschulen erwartet werde. In dieser Hinsicht müsse er Vorbehalte anbringen. Man müsse vermeiden, weltanschauliche Auseinandersetzungen in die Hochschulen zu tragen. Der Sprechende warnt vor allem davor, beim Studium der waffentechnischen Grundlagen auf die Hochschulen abzustellen. Das werde Schwierigkeiten und Widerstände ergeben, vor allem bei den im Bericht erwähnten Forschungsinstituten in Freiburg11 und Lausanne12. Er rate deshalb ab, das EDI zu beauftragen. Mit diesen Studien solle sich das EMD befassen oder evt. das VED.
Herr Wahlenanerkennt den Vorteil, dass die zivile Forschung gleichzeitig sehr stark gefördert werde. Im Hinblick auf die waffentechnische Grund lagenforschung sei die grundsätzliche Seite in den Vordergrund zu stellen.
Es sei zunächst festzustellen, dass man die Arbeiten kaum werde geheim halten können. Mit der momentanen Erledigung der Kleinen Anfrage Grendelmeier13 sei es nicht getan. Andere werden die Frage wieder auf greifen.
Im ganzen Bericht werde nichts von Waffenversuchen gesagt. Können solche Versuche überhaupt im Inland durchgeführt werden? Da bestünden doch die grössten Zweifel. Auch die Frage, ob und wo Versuche im Ausland möglich wären, sei nicht leicht zu beantworten.
Er sei aber der Meinung, dass man kein Geld in diese Spezialforschung investieren sollte, bevor die erwähnten Fragen nicht positiv vorabgeklärt seien. Man müsse auch abklären, welche weiteren finanziellen Folgen der erste Beschluss auslösen würde. Die ständigen technischen Fortschritte hätten sofort ihre Auswirkungen auf die Höhe der Ausgaben. Man werde rasch zu einem Plafond kommen, wo man nicht mehr weiter könne. Man müsse dazu kommen, eine Prioritätsordnung der verschiedenen Waffengattungen für unsere Verteidigung aufzustellen und schliesslich einen Plafond für unsere verschiedenen staatlichen Aufgaben finden (Forschung, Gewässerschutz, Strassenbau, Sozialwerke etc.).
Herr Wahlen wünscht deshalb, dass als erstes die Frage der Möglichkeiten von Waffenversuchen abgeklärt werde, bevor man irgendwelche Kredite bewillige.
Herr Schaffnerkönnte sich mit den Anträgen der Militärdelegation einverstanden erklären. Es scheine ihm, dass es hier gelungen sei, das Ganze unter eine gute tarnende Decke14 zu bringen. Man müsse die ganze Angelegenheit vor allem auch im Interesse unserer Energiewirtschaft fördern. Diese Frage sollte man bewusst in den Vordergrund stellen. Das EMD soll die zivilen Departemente vorausgehen lassen. Ob man so weit gehen wolle, Versuche zu machen im Zusammenhang mit der Bewaffnung, sollte man sich noch überlegen. Den alten Beschluss von 195815 würde er ruhig bestehen lassen.
Herr Chaudetwürde es als sehr heikel betrachten, den Beschluss von 1958 aufzuheben. Dieser sei provoziert worden von den Initianten16 für das Atomwaffenverbot.
Er hätte grosse Befürchtungen, den Beschluss aufzuheben wegen der Folgen für unsere Verteidigungsbereitschaft.
Im weitern Verlauf der Diskussion spitzt sich alles auf die Frage zu, ob man über einzelne Punkte des Antrages heute schon beschliessen wolle, ob man die Frage der Versuche im Inland in den Beschluss aufnehmen solle oder ob man die ganze Beschlussfassung verschieben wolle, bis man im Besitze einer Studie des EMD über die Möglichkeit der Durchführung von Versuchen im Inland sei. Diese Studie17 soll Aufschluss geben über die technischen Möglichkeiten, die erforderliche Qualität des Felsgesteins für die Sicherheit und die Schutzdistanz von Quellen und Staumauern bei unterirdischen Kernwaffenversuchen.
Nachdem Herr Chaudet der Lösung, die Vorlage als ein Ganzes zu verabschieden, den Vorzug gibt, entschliesst sich der Rat für die letztgenannte Lösung. Dabei wird ausdrücklich präzisiert, dass nur die technische Möglichkeit von Versuchen zu prüfen ist, nicht aber auch z. B. die politischen Möglichkeiten.
[…]18
- 1
- BR-Verhandlungsprot.: E 1003(-) 1994/26 Bd. 2. Vorsitz: L. von Moos. Abwesend: nie mand. Schriftführer: Ch. Oser und F. Weber. Beginn: 9 Uhr. Schluss: 12.35 Uhr.↩
- 2
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/31971.↩
- 3
- Zur Frage der Beschaffung von Atomwaffen für die Schweiz vgl. DDS, Bd. 16, Dok. 24, dodis.ch/334, dodis. ch/334 und Dok. 60, dodis.ch/335; DDS, Bd. 17, Dok. 25, dodis.ch/163; DDS, Bd. 18, Dok. 34, dodis.ch/8502; DDS, Bd. 19, Dok. 126, dodis.ch/9340; DDS, Bd. 20, Dok. 84, dodis.ch/13245, do dis.ch/13245; DDS, Bd. 21, Dok. 5, dodis.ch/16014; Dok. 10, dodis.ch/16058; Dok. 11, dodis.ch/14421; Dok. 15, dodis.ch/15401; Dok. 25, dodis.ch/9559; Dok. 72, dodis.ch/16060 und Dok. 73, dodis.ch/16061; DDS, Bd. 22, Dok. 60, dodis.ch/30509, und Dok. 167, dodis.ch/30595. Vgl. auch DDS, Bd. 23, Dok. 73, dodis.ch/31207 und das Aide-Memoire von R. Bindschedler vom 25. September 1958, dodis.ch/31899.↩
- 4
- Antrag des Militärdepartements an den Bundesrat zur Beschaffung von Atomwaffen vom 5. Dezember 1963, dodis.ch/32052↩
- 5
- Vgl. das Protokoll der Sitzung der Militärdelegation des Bundesrats vom 19. Dezember 1963, dodis.ch/30493. Die Militärdelegation besteht aus P. Chaudet (Vorsitz), W. Spühler, R. Bonvin, J. Annasohn, R. Frick, A. Kaech, E. Studer, R. Bieri und E. G. Haeberli.↩
- 6
- Bericht des EMD über die Möglichkeiten einer eigenen Atomwaffen-Produktion (MAP-Bericht) vom 15. November 1963, dodis.ch/30592.↩
- 7
- Vgl. Anm. 4.↩
- 8
- BR-Prot. Nr. 2252 vom 23. Dezember 1958, dodis.ch/31898. Dieser Beschluss wurde nicht in der amtlichen Sammlung publiziert.↩
- 9
- Vgl. Anm. 4, S. 10: Mit dem Ziel, bis in ca. 3 Jahren die Unterlagen für den Entscheid über eine eventuelle Herstellung von Atomwaffen im eigenen Land zu beschaffen und gleichzeitig die Entwicklung der zivilen Kerntechnik zu fördern, wird das Militärdepartement beauftragt, gemeinsam mit den andern interessierten Departementen, die notwendigen Untersuchungen auf folgenden Gebieten durchzuführen: Abbauwürdigkeit der schweizerischen Uranvorkommen; Verfahren zur Produktion von spaltbaren Stoffen; Theoretische Grundlagen der waffentechnischen Probleme (Vorgänge bei Kernexplosionen).↩
- 10
- Vgl. Anm. 6, S. 55–58.↩
- 11
- Physikalisches Institut der Universität Freiburg.↩
- 12
- Forschungszentrum für Plasmaphysik.↩
- 13
- A. Grendelmeier stellte am 25. September 1963 eine kleine Anfrage an den Bundesrat zur Beschaffung von Atomwaffen. Am 2. Dezember 1963 wurde die Anfrage im Nationalrat abgewiesen, da der Urheber per 1. Dezember 1963 aus dem Rate ausgeschieden ist. Vgl. die Übersicht über die Verhandlungen der Bundesversammlung, Wintersession 1963, 2. bis 19. Dezember 1963, S. 40.↩
- 15
- Vgl. Anm. 8.↩
- 16
- Schweizerische Bewegung gegen die atomare Aufrüstung. Vgl. dazu das Schreiben von A. Amstein an J. Burckhardt vom 18. Mai 1961, dodis.ch/16164. Die Abstimmung über die Volksinitiative «Verbot der Atomwaffen» fand am 1. April 1962, diejenige über das «Entscheidungsrecht des Volkes über die Ausrüstung der schweizerischen Armee mit Atomwaffen» am 26. Mai 1963 statt. Beide Vorlagen wurden von Volk und Ständen abgelehnt. Vgl. BBl, 1962, I, 913 f. und BBl, 1963, II, 4–45.↩
- 17
- Vgl. auch das BR-Verhandlungsprot. der 41. Sitzung vom 1. Juni 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 7–9.↩
- 18
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/31971.↩
Tags
Military policy Question of nuclear weapons