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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 23, Dok. 104
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001E#1979/28#56* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(E)1979/28 12 | |
Dossiertitel | Handhabung der schweiz. Neutralität (1961–1967) | |
Aktenzeichen Archiv | B.51.10 |
dodis.ch/31614
Im Rahmen des von der UNO gemeinsam mit dem Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales in Genf durchgeführten Ausbildungsprogramms für Diplomaten aus den Entwicklungsländern, vor allem aus dem schwarzen Afrika, hatte ich, wie schon in den früheren Jahren, ein Exposé über die schweizerische Neutralität2 zu halten. Meinem etwa einstündigen Vortrag schloss sich auch dieses Jahr wieder eine Diskussion in der Form an, dass ich die von den Kursteilnehmern gestellten Fragen beantwortete.
Es war für mich interessant festzustellen, dass die in früheren Jahren nur andeutungsweise zu Tage getretene Tendenz einer Kritik der schweizerischen Neutralität sich immer mehr verschärft3. Hatten noch in den Vorjahren die meisten Kursteilnehmer objektive Fragen über besondere Aspekte der schweizerischen Neutralitätspolitik (Nichtmitgliedschaft bei der UNO4, Neutralität im Zeitalter der Atomwaffen5 etc.) gestellt, so waren die Fragen in diesem Jahr fast ausnahmslos polemischer Natur. Die Bemerkungen der Kursteilnehmer waren, kurz zusammengefasst, ein Sammelsurium einer hämischen Kritik an der heuchlerischen Haltung der Schweiz zu den aussenpolitischen Problemen unserer Zeit. Neben dem Waffenexport6 wurde vor allem unsere viel zu positive Haltung Südafrika7 gegenüber wiederholt scharf angegriffen. Von einer Seite wurde uns sogar vorgeworfen, die junge Generation lasse sich im Kongo gegen die Freiheitsbewegung anwerben. Diese als allgemeine Tendenz der jungen Generation dargestellte Haltung stehe in einem eklatanten Widerspruch zu den Beteuerungen der schweizerischen Regierung. Andererseits wurde uns auch die Anerkennung von Rotchina8 angekreidet. Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass sich die Schweiz eben nicht dadurch um ihre aussenpolitische Verantwortung drücken könne, dass sie sämtliche Staaten und Staatengruppen, einschliesslich der UDSSR, Rotchina und der afrikanischen Staaten9, anerkenne, so einfach gehe das heute nicht mehr. Schliesslich erklärte ein Teilnehmer ganz offen, er betrachte die schweizerische Neutralitätspolitik als etwas ausgesprochen Unmoralisches, indem er die schweizerische Regierung durchaus für fähig halte, mit verschränkten Armen zuzusehen, wie die schwarze Bevölkerung in Südafrika niedergemetzelt werde.
Selbstverständlich habe ich versucht, auf diese Fragen möglichst objektiv und leidenschaftslos, aber trotzdem deutlich zu antworten. Ob mir dies in der kurzen Zeit gelungen ist, bleibe dahingestellt. Auf alle Fälle hinterliess diese «Diskussion» einen eher peinlichen Eindruck und zeigte einmal mehr, dass unser Prestige im schwarzen Afrika alles andere als unbestritten ist. Neu für mich waren lediglich der Umfang und die Stärke der Kritik.
- 1
- Notiz: E 2001(E) 1979/28 Bd. 12 (B.51.10). Verfasst und unterzeichnet von E. Diez. Kopien an R. Bindschedler, J. Burckhardt und A. R. Lindt.↩
- 2
- Zur Frage der Neutralität vgl. auch das BR-Prot. Nr. 1233 vom 7. Juli 1964, dodis.ch/31616 und die Notiz des Politischen Departements vom 7. Oktober 1965, dodis.ch/31619.↩
- 3
- Zu einem anderen Schluss kam H. Langenbacher in seinem Referat für Heer und Haus, vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 169, dodis.ch/31454.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 40, dodis.ch/31553.↩
- 5
- Zur Frage der Neutralität und Atomwaffen vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 167, dodis.ch/30595. Zur Frage der Atombewaffnung der Schweizer Armee vgl. auch DDS, Bd. 23, Dok. 15, dodis.ch/31971, bes. Anm. 3.↩
- 6
- Für eine Übersicht über die Problematik des Kriegsmaterialexports vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 176, dodis.ch/31195.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 97, dodis.ch/31079 und Dok. 105, dodis.ch/31060.↩
- 8
- Vgl. dazu das Telegramm von M. Petitpierre an Mao Zedong vom 17. Januar 1950, dodis.ch/8017. Vgl. ferner DDS, Bd. 23, Dok. 43, dodis.ch/31039, Anm. 17 und Dok. 175, dodis.ch/30922.↩
- 9
- Zur Anerkennung von und Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit afrikanischen Staaten vgl. zum Sudan, DDS, Bd. 20, Dok. 48, dodis.ch/12040; zu Tunesien und Marokko, DDS, Bd. 21, Dok. 68, dodis.ch/15417; zu Guinea, DDS, Bd. 21, Dok. 27, dodis.ch/15647; zu Kamerun, DDS, Bd. 21, Dok. 59, dodis.ch/15565; zu verschiedenen westafrikanischen Ländern, DDS, Bd. 21, Dok. 108, dodis.ch/15517; zu Botswana und Lesotho das BR-Prot. Nr. 1633 vom 9. September 1966, dodis.ch/32067; zur Unabhängigkeit von Botswana, den Politischen Bericht Nr. 6 von R. Hunziker an W. Spühler vom 14. Oktober 1966, dodis.ch/32057; zu Gambia, das BR-Prot. Nr. 255 vom 9. Februar 1965, dodis.ch/32068; zu Malawi und Zambia, das BR-Prot. Nr. 1099 vom 12. Juni 1964, dodis.ch/32069 und der Bericht von R. Probst über seine Ostafrikareise vom 29. Juli 1964, dodis.ch/31498 sowie zur Unabhängigkeit von Zambia, den Politischen Bericht Nr. 3 von A. Marcionelli an F. T. Wahlen vom 5. November 1964, dodis.ch/32070. Zu den schweizerischen Vertretungen in afrikanischen Staaten vgl. die Notiz von R. Pestalozzi vom 17. Juni 1966, dodis.ch/31349 und den Bericht des politischen Departements an die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats vom 1. April 1964, dodis.ch/31497.↩
Verknüpfungen mit anderen Dokumenten
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Afrika (Allgemein) Südafrika (Allgemein)