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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 23, Dok. 65
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001E#1978/84#3234* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(E)1978/84 728 | |
Dossiertitel | Empfang höherer britischer Persönlichkeiten in der Schweiz: Brown George, Wirtschaftsminister, London (1965–1965) | |
Aktenzeichen Archiv | B.15.50.4 • Zusatzkomponente: Grossbritannien |
dodis.ch/31417 Notiz über die Besprechung von Herrn Bundesrat Wahlen mit dem First Secretary of State and Minister of Economic Affairs, George Brown, im Department of Economic Affairs in London2
Herr Bundesrat Wahlen war vom First Secretary of State and Minister of Economic Affairs3, dem Stellvertreter von Premierminister Wilson, eingeladen worden4, seine Teilnahme am Staatsbegräbnis für Sir Winston Churchill5 dazu zu benützen, um mit ihm zusammenzukommen. Die so zustandegekommene Unterredung nahm folgenden Verlauf.
First Secretary Brown: Ich war kürzlich in Österreich und Schweden6 und gewann dabei den Eindruck, dass die Schweiz am wenigsten zu verstehen scheint7, was wir zu tun versuchen. Sie glauben offensichtlich, wir wollten uns hinter einer Schutzmauer verstecken. Wir versuchen aber nur, Zeit zu gewinnen, um eine Reihe von Problemen zu lösen, wozu wir Eurer Hilfe bedürfen. Wir importieren zu viel und exportieren zu wenig.
Man sagte mir, die Haltung der EFTA-Partner8 hänge weitgehend von den Schweizern ab. Was sollen wir jedoch tun, wenn sie ein ungünstiges Klima schaffen. Die Folge davon war ein «run» auf das Pfund, was uns in die Deflation führte und eine allgemeine Entmutigung auslöste. In einer solchen Atmosphäre des Zweifelns können wir nicht vorwärts kommen.
Bundesrat Wahlen: Die EFTA-Freunde scheinen uns den schwarzen Peter zuzuspielen. Sehen Sie sich aber unsere Presse an. Wir griffen Euch öffentlich nicht an. Unter uns sprachen wir allerdings sehr offen. Wir empfanden Ihr Vorgehen als einen schweren Schlag für die EFTA9: vor allem war es «unfair», uns nicht vorher zu konsultieren und rechtzeitig zu verständigen. Das Problem eines Handelsdefizites ist uns übrigens wohlbekannt.
First Secretary Brown: Mit dem Pfund als Reservewährung tragen wir die Bürde anderer. Wir sind somit in einer speziellen Situation.
Bundesrat Wahlen: Darüber geben wir uns voll Rechenschaft. Wir haben uns denn auch mit dem Schweizerfranken an der internationalen Hilfsaktion zur Stützung des Pfund-Sterlings10 beteiligt.
First Secretary Brown: Ich frage Sie, wie würden Sie fühlen, wenn man, wie Ihr, privat das eine sagt und dann öffentlich was anderes tut. Wenn das Pfund als Reservewährung nicht zerstört werden soll, dürft Ihr uns nicht angreifen. Wenn Ihr wollt, dass es diese Funtkion behält, müsst Ihr uns helfen.
Bundesrat Wahlen: Proportional haben wir mehr geholfen als jedes andere Land.
First Secretary Brown: In Genf11 wart Ihr jedoch sehr «rough» mit uns. Wir wollten das Pfund als Reservewährung nicht gefährden. Sir Roll und ich bestanden auf der Importabgabe12. Andere Minister befürworteten quantitative Restriktionen. Wir zwei wollten die «surcharge», um die freie Konkurrenz zu erhalten und waren bereit, dafür Vorwürfe in Kauf zu nehmen. Wir wollten dem Konsumenten nicht vorschreiben, was er kaufen soll. Ich bin daher über die Reaktion der EFTA-Partner sehr enttäuscht. Das Finanzministerium und das «Board of Trade» waren gegen die Importabgabe. Warum unterstützen Sie uns nicht?
Bundesrat Wahlen: Wir haben EFTA-Partner, die schwächer sind als England. Wenn England die Konventionen verletzt, wie könnt Ihr erwarten, dass andere sich daran halten. Sie haben einen Präzedenzfall geschaffen.
Sir Eric: Die Möglichkeit der Einführung quantitativer Restriktionen besteht nach wie vor.
Bundesrat Wahlen bringt das Gespräch auf die 7% Bankrate, wird aber von Mr. Brown unterbrochen.
First Secretary Brown: Sie antworten nicht auf meine Frage.
Bundesrat Wahlen: Sie hätten die Erhöhung der Bankrate früher vornehmen sollen.
First Secretary Brown: Ich gebe zu, einen Fehler gemacht zu haben. In einer Atmosphäre der Deflation kann man jedoch keine Einkommenspolitik verkaufen, noch die Industrie modernisieren oder eine Expansion erwarten. Ich wollte aus diesem Grunde die Bankrate nicht anheben. Dies war falsch. Hätten wir den Diskontsatz sofort erhöht, dann wären wir mit 1% ausgekommen. Sie müssen uns nun Zeit geben. 6 Monate reichen kaum. Wir sind Sünder; wir wollen es aber nicht weiter sein. Helft uns daher, davon wegzukommen.
Bundesrat Wahlen: Beide Möglichkeiten, Verschiebung der EFTA-Ministersitzung oder Abhaltung ohne Resultat wären schlecht. Es müsste der Eindruck entstehen, dass die EFTA in einer Sackgasse ist. Sie müsste darunter leiden.
First Secretary Brown: Während meiner Reise nach Österreich und Skandinavien wurde mir gesagt, Bundesrat Wahlen sei der Mann in der Ge meinschaft, der die harte Linie verfolge. Er wolle die EFTA nicht mehr.
Bundesrat Wahlen: Sie können denen, die das gesagt haben, erklären, dies sei eine Lüge.
First Secretary Brown: Mitte Februar verfügen wir noch nicht über ausreichende statistische Unterlagen, um beurteilen zu können, inwieweit sich die Zahlungsbilanzsituation gebessert hat. Im März oder April wäre dies dagegen der Fall. Wenn Sie auf die Tagung im Februar Februar mit dem Abbau der Importabgabe13 beginnen zu können! Die Lage ist aber noch nicht klar. Warum wollen Sie uns nicht Zeit lassen und uns zu etwas anderem drängen? Alles hängt von Ihnen ab. Sie sind der entscheidende Mann, wie man mir immer wieder versicherte.
Bundesrat Wahlen: Ich glaube, wir sollten an der Ministertagung am 22./23. Februar festhalten, und sie sollten mit dem Abbau der 15% Importabgabe beginnen.
First Secretary Brown: Wie wäre es, wenn wir eine «token reduction» vornähmen? Welcher Satz wäre für Sie akzeptabel und würde dies die Spannung lösen?
Bundesrat Wahlen: 5% schiene mir angebracht. Dies würde zweifellos helfen, die Situation zu klären, und Sie erwiesen damit der EFTA einen grossen Dienst.
First Secretary Brown: Lassen wir den Prozentsatz offen. 2½% scheint mir möglich. Wenn wir eine Reduktion vornehmen würde sich dann das Klima bessern?
Bundesrat Wahlen: Jede «token reduction» würde als Absichtserklärung gewertet.
First Secretary Brown: Quantitative Restriktionen hätten unseren EFTA-Partnern viel mehr gekostet und uns einen Haufen administrativer Schwierigkeiten bereitet und der ganzen Aktion den temporären Charakter genommen. Mit der 15%igen Einfuhrabgabe entschieden wir uns für die Aufrechterhaltung des freien Handels.
Bundesrat Wahlen: Im internationalen Leben gibt es gewisse Prinzipien. Wir hatten hinsichtlich deren Beachtung eine grosse Meinung von England. Sie haben nun aber einen Präzedenzfall geschaffen. In Genf hielt ich keineswegs um 03.15, wie Sie sagen, eine brutale Rede14, sondern äusserte mich erst später zum völkerrechtlichen Aspekt, und als Aussenminister kann ich keinen andern Standpunkt, als den vertretenen, einnehmen.
First Secretary Brown: Zur Lösung des britischen Zahlungsproblems ist der von uns eingeschlagenen Weg der beste; er drängte sich vor allem im Interesse des europäischen Handels auf. Ich darf sagen, der Führer der europäischen Fraktion in der Regierung zu sein.
Bundesrat Wahlen: Die Kreise in Österreich, welche gegen die EFTA sind, haben durch das britische Vorgehen grossen Auftrieb bekommen.
First Secretary Brown: Die Österreicher sagen, Bundesrat Wahlen sei der harte Mann und sie, wie die Schweden, erklärten mir, ich müsste die Frage mit ihm klären. Ich schlage Ihnen daher einen Handel vor, dem meine Regierungskollegen noch zustimmen müssen: Wir machen einen «token move», wenn Sie sagen: «Wir anerkennen, dass Grossbritannien handeln musste, dass quantitative Restriktionen schädlicher gewesen wären und dass die 15% Importabgabe nur temporären Charakter hat».
Bundesrat Wahlen: Die britische Regierung brächte mit einer solchen Reduktion zum Ausdruck, dass die Importabgabe wirklich nur temporär sein soll, was zweifellos das bessere Vorgehen wäre.
First Secretary Brown: Eine sozialistische Regierung hat keine Zukunft in diesem Land, wenn es ihr nicht gelingt, den Handel auszuweiten. Jede Behinderung stellt daher ein Hindernis dar, das so rasch wie möglich beseitigt werden muss. Wir kamen an die Macht, nachdem die vorangehende Regierung15 während 9 Monaten keine Entscheidungen mehr getroffen hatte. Wir mussten sofort die Importe abbremsen und/oder die Exporte fördern. Sollte dies kurzfristig geschehen, so mussten wir Massnahmen ergreifen, die zum Teil gegen «the rules» verstossen. Wir glaubten, rasche Behebung sei in aller Interesse und hätten daher von Euch unterstützt werden sollen.
Bundesrat Wahlen: Warum haben Sie uns nicht konsultiert, wie es die EFTA-Konvention16 vorsieht?
First Secretary Brown: Heute vor die gleiche Situation gestellt, würden wir es tun, unsere Argumente unterbreiten und Ihnen Zeit geben, die Sache kurz zu überlegen.
Bundesrat Wahlen: Ihr Botschafter17 kam erst am Sonntagmorgen zu mir18, um mich über ihre Absichten, die am nächsten Tag bekanntgegeben wurden, in Kenntnis zu setzen.
First Secretary Brown: Werden Sie uns helfen, wenn wir den Abbau der 15% Importabgabe mit einer «token reduction» beginnen?
Bundesrat Wahlen: Mit einer vernünftigen Reduktion – ich würde 5% als vernünftig betrachten – haben Sie mein volle Unterstützung.
First Secretary Brown: Das ist fein. Wenn Sie zustimmen, dann machen auch die anderen EFTA-Partner mit. Gunnar Lange sagte mir, wenn Sie sich mit Wahlen einigen können, dann bringen wir es durch.
Sir Eric: Wir haben noch mit keinem EFTA-Partner über eine «token reduction» gesprochen.
First Secretary Brown: Ich werde selber nach Genf kommen.
Bundesrat Wahlen: Können wir uns auf folgende Formel einigen: «Sie sagten, 2½% scheine Ihnen das Erreichbare, sie versuchten aber Ihre Regierungskollegen für 5% zu gewinnen. Alles zwischen 2½ und 5% würde mich zufrieden stellen.»
First Secretary Brown: Einverstanden.
Sir Eric: Wir betrachten nach wie vor die 15% Importabgabe als das für unsere Partner kleinere Übel. Wenn sie uns aber zwingen, müssen wir zu quantitativen Restriktionen übergehen. Eine Reihe von Regierungsmitgliedern sind übrigens dafür.
- 1
- Notiz: E 2001(E) 1978/84 Bd. 728 (B.15.50). Verfasst von M. Feller. Original ging an F. T. Wahlen. An der Besprechung anwesend waren F. T. Wahlen, B. von Fischer, M. Feller, G. Brown, E. Roll, A. Albu und Mr. Clark.↩
- 2
- Für die Einschätzung des Gesprächs von B. von Fischer vgl. sein Schreiben an F. T. Wahlen vom 1. Februar 1965, Doss. wie Anm. 1: Ich nehme an, dass Herr Brown schon vor uns mehrere Besprechungen geführt hatte, an denen Whisky serviert wurde, was seine etwas ungehemmte Haltung erklären würde und sein Schreiben an F. T. Wahlen vom 5. Febraur 1965, E 2001(E) 1978/84 Bd. 325 (C.41.775.3): Es sieht ganz so aus, als ob Ihr Gespräch mit Herrn Brown zu einem «break-through» in der erstarrten EFTA-Front geführt hat. Für die Berichterstattung im Bundesrat von F. T. Wahlen vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 8. Sitzung vom 2. Februar 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 5 f.↩
- 3
- G. Brown. Zu einem weiteren Treffen zwischen G. Brown und F. T. Wahlen vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 99, dodis.ch/31418.↩
- 4
- Vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 7. Sitzung vom 29. Januar 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3.↩
- 5
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 186 vom 29. Januar 1965, dodis.ch/31437 und das BR-Verhandlungsprot. der 56. Sitzung vom 13. August 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3. Zum Churchill Monument in der Schweiz vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 6. Sitzung vom 26. Januar 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3.↩
- 6
- Vgl. den Politischen Bericht Nr. 1 von E. von Graffenried an F. T. Wahlen vom 23. Januar 1965, E 2300(-) 1000/716 Bd. 447 (166). Zur schwedischen Haltung vgl. die Notiz von P. Micheli vom 17. November 1964, dodis.ch/31633 und das Schreiben von P. Languetin an E. von Graffenried vom 22. März 1965, dodis.ch/31220.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 56, dodis.ch/31416.↩
- 8
- Dänemark, Norwegen, Österreich, Portugal und Schweden.↩
- 9
- Zur EFTA vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 172, dodis.ch/31640, bes. Anm. 10.↩
- 10
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 128, dodis.ch/31415.↩
- 11
- Zur EFTA-Ministerkonferenz in Genf vom 19.–20. November 1964 vgl. das BR-Prot. Nr. 1995 vom 13. November 1965, E 1004.1 1000/9 Bd. 703.1 und Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 324 (C.41.775).↩
- 12
- Vgl. dazu die Notiz von P. Languetin an E. Stopper vom 9. November 1964, dodis.ch/31442.↩
- 13
- Vgl. dazu den Bericht des Integrationsbüros und des Politischen Departements von Mitte Februar 1965, dodis.ch/31654, S. 11: Die EFTA hat zur Zufriedenheit der Partner funktioniert, bis die britischen Zollzuschläge eingeführt wurden. In der durch diese Vertragsverletzung geschaffenen Lage ist die einhellige Reaktion aller übrigen EFTA-Mitglieder als ein positives Element für die Freihandelszone zu werten. Unter dem konstruktiven Druck dieser Reaktion und dank der kürzlich eingetretenen Besserung der englischen Wirtschaftslage ist auf eine baldige Aufhebung der Zollzuschläge zu hoffen.↩
- 14
- Für den Text der Rede Effects of the charge of 15% on Swiss exports vgl. E 2001(E) 1978/84 Bd. 324 (C.41.775.3).↩
- 15
- Tory-Regierung von A. Douglas-Home.↩
- 16
- Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA) vom 4. Januar 1960, AS, 1960, S. 590–792.↩
- 17
- R. S. Isaacson.↩
- 18
- Schreiben von R. S. Isaacson an F. T. Wahlen vom 25. Oktober 1964, E 2001(E) 1978/84 Bd. 741 (C.41.117). Vgl. ferner das BR-Verhandlungsprot. der 74. Sitzung vom 27. Oktober 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3.↩
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Vereinigtes Königreich (Wirtschaft)
Europäische Freihandelsassoziation (EFTA)