Language: ns
1944-1946
BAR; E 4320 (B) 1973/17, Bd. 53, C.2.13195 Paul Dickopf
Information Independent Commission of Experts Switzerland-Second World War (ICE) (UEK)
Info UEK/CIE/ICE ( deutsch français italiano english):
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Daten:

Paul Dickopf, geb. 9.6.1910
Decknamen: André Jung, Peter Diekmann, André Donaldsen, Hans Hardegg
Eintritt in dt. Wehrmacht November 1934: Infanterieregiment Amberg. Entlassung 12.10.1935 als Gefreiter
1937 Eintritt in Kriminallaufbahn bei der Kriminalpolizeistelle Frankfurt. Ende Juli 1939 Kriminalkommissar in Karlsruhe
Oktober 1939 Einberufung zur Abwehrstelle beim stellvertretenden Generalkommando V AK in Stuttgart. Im Zuge der Angleichung der dt. Polizei an die SS erfolgte seine Ernennung zum SS-Untersturmbannführer. Hauptbeschäftigung: Spionageabwehr Gegen Belgien, Luxemburg, Frankreich.
Juli 1942 erhält er Auftrag, getarnt in die Schweiz einzureisen, um dort nachrichtendienstlich gegen die Alliierten tätig zu sein. Zur Einarbeitung wird er nach Paris gesandt. Unter dem Namen Dorr sollte er in die Schweiz einreisen. Laut Aussage von Dickopf habe er sich daraufhin abgesetzt, sich nach Belgien begeben, wo er sich bis Juli 1943 bei Bekannten versteckt hielt. Mit Hilfe des NS-Mitarbeiters, Genoud, dem er wichtige Angaben für den Schweizer ND über Truppenaufstellungen, Standort von Stabsquartieren, interne Berichte über Bombardierungsschäden, etc. mitgab. Die Information wurde an den Schweizer ND weitergeleitet. Dickopf reist mit Hilfe des Schweizer ND-Oblt. Olivet illegal am 17.7.1943 in die Schweiz ein und erhält von ersterem einen provisorischen Flüchtlingsausweis unter dem Namen André Jung. Vom Juli 1943 bis August 1944 wohnt er bei Muhidin Daouk in Lausanne und ist der Kontrolle des Ter. Kdo. 1 unterstellt. Am 8.8.1944 wird er von der Groupe du Lac festgenommen und wegen Verdacht auf Spionagetätigkeit vor Gericht gestellt. Am 15.11.1944 wird das Verfahren des Armeeauditors wegen Mangel an Beweisen eingestellt.
In der Folge wohnt Dickopf als polit. Flüchtling in Bern auf eigenen Kosten und wird ab Dezember 1944 in Worb interniert, und der Kontrolle der BA unterstellt. Während seiner Internierungszeit wird ihm grosse Freiheit gewährt. Es ist nicht aufgefallen, dass er sich im nationalsozialistischem Sinne betätigt hat.
Am 13.11.1945 kehrt Dickopf nach Dt. zurück, wo er für die amerikan. Besatzungsmacht arbeitet. 1946 reist er mit fremdenpolizeilicher Bewilligung wieder in die Schweiz ein zur Besprechung politischer Geschehnisse in Deutschland mit Beamten der Bundespolizei. Gleichzeitig bespricht er mit Angehörigen der amerikan. Gesandtschaft über die Divergenzen zwischen der amerikan. Militärregierung und den zivilen Verwaltungsstellen in Deutschland. Die amerikan. Gesandtschaft lobt Dickopfs Leistungen in hohem Masse. Am 8.1.1947 verlässt Dickopf die Schweiz endgültig. Später wird er Regierungs- und Kriminalrat im Bundeskriminalamt in Bonn und Präsident des Bundeskriminalamtes. 1968-72 war er Präsident der Interpol. Am 19.9.1973 stirbt er.

Quellen
BA an Major Weyermann (Auditor Ter.Ger.2A), 15.11.1944

Keine Internierung von Dickopf, weil es "der Praxis widerspricht", Gestapobeamte oder Angehörige der SS zu internieren und da die Gefahr besteht ihn nach Kriegsende nicht mehr abschieben zu können. Dickopf war bei der Abwehrstelle 5 Stuttgart also in der Spionage tätig. Er muss deshalb unter ständiger Kontrolle stehen. Die legale Ausreise Dickopfs nach Frankreich ist eher unscheinbar, da er sicher keine Bewilligung von den frz. Stellen zur Einreise erhalten wird. "Da wir im Interesse der Sicherheit unseres Landes an der Ausreise des Dickopfs festhalten müssen und eine legale Ausreise aussichtslos erscheint, bleibt uns eigentlich nur der Weg offen, eine illegale Abschiebung Dickopfs vorzunehmen." Dickopf wird als ehemaliger Kriminalkommissar es verstehen sich bis nach Belgien durchzuschlagen, wo er bei der dortigen Polizei unter der amerikanischen Besetzung zu arbeiten gedenkt.

BA an Armeekommando Abt. Sicherheitsdienst, 16.11.1944

Dickopf hat sich bei seinem Eintritt in die Schweiz mit Oblt. Olivet in Verbindung gesetzt, der ihm die nötigen Formalitäten besorgte, um als Flüchtling unter dem Namen André Jung in der Schweiz verbleiben zu können. Dickopf behauptet er könne nicht nach Deutschland zurückkehren, weil er dort wegen Desertion verfolgt werde. "... dieser Mann [ist] in der Schweiz vollständig untragbar... und eine Internierung wird gar nicht in Betracht fallen."

EJPD Polizeiabteilung an BA, 17.11.1944

Dickopf ist am 31.7.1943 von Frankreich her illegal in die Schweiz gekommen. Mit Verfügung vom 29.10.1943 wurde er als Flüchtling interniert. Am 8.8.1944 wird er in Lausanne verhaftet. Er wird heute unter militärischer Kontrolle in Lausanne behalten. Die Group du Lac des Armeekommandos befasste sich dann mit ihm. Inzwischen ist Dickopf auf die Veranlassung der BA, entgegen der Verfügung des Polizeidienstes des EJPD, aus dem Bezirksgefängnis Bern entlassen worden ist wohnt frei in Bern. "Es liegt uns daran, festzuhalten, dass die Verantwortung dafür, dass Dickopf zurzeit in Freiheit in Bern weilen kann, allein der Bundesanwaltschaft zufällt."

BA an Polizeiabteilung des EJPD, 18.11.1944

Es war Auditor Weyermann, der erklärt hatte, dass er Dickopf aus der Haft entlassen müsse, da keine rechtlichen Grundlagen vorhanden seien, um demselben weiterhin im Gefängnis zu behalten. Armeeauditor Eugster hatte auch nichts gegen die Entlassung Dickopfs einzuwenden. Da Dickopf nicht in Haft behalten werden konnte, hat die BA ihn unter Kontrolle in Bern auf eigenen Kosten in einem Hotel untergebracht. Dickopf ist am 17.7.1943 von Frankreich her illegal mit "dem Agenten der NS, Genoud, in die Schweiz gekommen." Der NS-Offizier hat sich in Folge des Dickopfs angenommen und war ihm behilflich den Flüchtlingsausweis auf den Namen André Jung zu beschaffen. Während der Zeit seiner Internierung reise Dickopf am 11.11.1943 nach Frankreich aus um mit Nachrichten zurückzukehren. Olivet war über den richtigen Namen von Dickopf schon zu Beginn informiert. Dickopf hat "tatsächlich unserem Lande Dienste erwiesen". Es kann daher nicht verantwortet werden, ihn länger in Haft zu lassen.

Oberstlt. v. Steiger (Bundesnachrichtendienst) an BA, 23.11.1944

Dickopf stand während einiger Zeit in Verbindung mit dem ND und hat "wertvolle Dienste" geleistet. Die Entscheidung über das weitere Schicksal von Dickopf muss die BA entscheiden, der ND ist aber der Meinung, dass er "eine wohlwollende Behandlung" verdient hat.

BA an Polizeiabt. des EJPD, 28.11.1944

Gestützt auf der Stellungnahme des Armeekommandos, das eine wohlwollende Behandlung Dickopfs nahelegt, wird letzterer als anerkannter politischer Flüchtling unter der Kontrolle interniert werden. Als Zwangsaufenthalt wird das Hotel Löwen in Worb vorgeschlagen. Dickopf kommt selbst für die Unterhaltskosten auf.

Polizeiabt. des EJPD an Rothmund z.H. von Steiger, 5.11.1944

Materiell wird der Fall Dickopf von der Groupe du Lac und der Bundesanwaltschaft ganz verschieden beurteilt. Der Bericht der BA lässt Dickopf als Mann erscheinen, "der nur gezwungenermassen und ohne Nationalsozialist zu sein, deutscher Kriminalkommissär und Angehöriger der Abwehrstelle Stuttgart geworden ist und der die erste Gelegenheit benützt hat, seine Stellung aufzugeben und dann als Flüchtling in die Schweiz zu kommen." Die Group du lac macht demgegenüber die Aussage, dass "Dickopf 1938 eine Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin besucht hat (wozu in jenem Zeitpunkt eine 'gute deutsche Einstellung' Voraussetzung war) und dass er später zum SS-Untersturmführer ernannt worden ist; Dickopf habe neben der Abwehr auch die aktive Spionage gegen Luxemburg und Belgien geleitet und zum Teil sogar Aufträge in die Schweiz gegeben." Oberst Jaquillard informiert in seinem Schreiben vom 2.12.1944, dass Dickopf 1942 in die Schweiz beordert worden sei, um die Spionage zu organisieren.
Es fehlt an eindeutigem Beweismaterial, um herauszufinden, welche dieser widersprechenden Auffassung richtig ist. "Immerhin erscheint es mir etwas eigentümlich, dass ein Mann, der 1937 in die Kriminalpolizei eintrat, 1939 Kriminalkommissar und später SS-Untersturmführer wurde und dann nahezu drei Jahre in der Abwehr und aktiven Spionage arbeitete, nachträglich behauptet, er sei mit dem heutigen deutschen Regime nie einverstanden gewesen und habe bloss gezwungenermassen mitgemacht."

"Bedauerlich ist bei der ganzen Sache die Mitwirkung von Offizieren des schweizerischen Nachrichtendienstes." Konkretes ist hierüber natürlich nicht bekannt. Die BA soll sich mit der Group du Lac in Verbindung setzten, um herauszufinden, ob Dickopf tatsächlich ein Opfer des NS-Regimes ist.

Armeekommando Group du Lac, Jaquillard, an von Steiger, 2.12.1944
Dickopf wohnte bei Muhidin Daouk in Lausanne. Es liegen "propre indications" vor, wonach Dickopf im Mai resp. Juni 1942 den Befehl erhalten haben soll, er solle sich für eine Spionageoperation in der Schweiz breit halten. Er solle unter dem Namen Peter Dorr in Zürich beim Reisebüro der Deutschen Bahnen seine Operationen durchführen. Sein Komplize Genoud ist der Gruppe sehr wohl als Rechtsextremer bekannt. Genoud reiste während der ersten Hälfte 1942 insgesamt 8 Mal nach Deutschland. "Le 14.4.1942 interpellé à Bâle, à l'occasion d'un de ses franchissements de la frontière, il a été trouvé porteur d'une grande quantité d'or qu'il exportait d'Allemagne." Im Juni 1944 traf er sich mit Dr. Baumeister vom deutschen Nachrichtendienst.

BA (E. Meyer) Aktennotiz, 21.2.1945

Dickopfs Frau wurde vom dt. Kriminalrat wegen dem Verschwinden ihres Mannes bedroht.

Paul C. Blum US Legation Berne, 6.9.1945

Dickopf gab ihm "his wholehearted cooperation". "... Dickopf has been of very great service to me. His wide knwoledge of German organization and personalities has been invaluable; he is a trained member of the Kriminalpolizei and I have drawn extensively upon his experience for information on War Crimes and Criminals".

Dickopf an BA, 16.5.1946

Seine Anwesenheit in der Schweiz dienst dazu, mit Angehörigen der amerikan. Gesandtschaft in Bern Verhandlungen darüber zu führen, welche Schritte zur Behebung der bestehenden Divergenzen zwischen der amerikan. Militärregierung und den zivilen Verwaltungsstellen in Dt. unternommen werden können. Ferner habe er von Gaevernitz den Auftrag erhalten, sich um die Kompensationsgeschäfte zu kümmern, die der Einfuhr von Büchern schweizerischer Provenienz nach Dt. dienen soll. Er bittet daher um eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.
Sein Antrag wird in Folge bis zum Juni 1946 verlängert.


BA an Eidgen. Polizeiabt., 22.10.1946

Dickopf hat die Schweiz am 13.11.1945 verlassen und arbeitet heute für die amerikan. Besetzungsmacht.
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