Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 111
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1987/78#2317* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1987/78 484 | |
Dossier title | Frage der Anerkennung der kommunistischen Regierung Chinas (1952–1975) | |
File reference archive | B.15.11.2 • Additional component: China |
dodis.ch/18923 Bericht des Politischen Departements1 Schweizerisches Verhalten gegenüber Peking bzw. Taipeh
I. Rotchina
1. Man kann sich nachträglich fragen, ob es richtig war, die Volksrepublik China bereits 1950 anzuerkennen und mit ihr diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Sicher entsprang der damalige Entschluss neutralitätspolitischen Erwägungen bzw. unserem Wunsch nach möglichst universellen Beziehungen, abgesehen davon, dass wir uns – und wie sich seither gezeigt hat mit Erfolg – die Möglichkeit des schweizerischen Interessenschutzes wahren wollten.
2. Rebus sic statibus ergibt sich grundsätzlich die Konsequenz, bei Ab stimmungen über die Aufnahme Rotchinas in eine internationale Organisation dafür zu stimmen. Wir honorieren damit den Stand unserer gegenseitigen Be ziehungen und tragen überdies zur Universalität derartiger Organisa tionen bei.
3. In den letzten Jahren wurden jedoch unsere Delegationen angewiesen, sich der Stimme zu enthalten mit folgenden – heute nicht mehr stichhaltigen – Gründen (vgl. Notizen vom 11. 5. 59 und 27. 10. 592):
a. Eine positive Stellungnahme zu Aufnahmegesuchen in Spezialorganisationen der UNO sei inopportun, solange die Aufnahme Pekings in UNO hängig. Dieses Argument erscheint nicht schlüssig, weil beispielsweise auch die Bundesrepublik Deutschland, Südvietnam und Südkorea nicht in der UNO sind, wohl aber ihren Spezialorganisationen angehören.
b. Es bestünde das Risiko, dass die Schweiz «allenfalls als einziger nicht kommunistischer Staat mit den Warschaupaktmächten stimmt». Eine solche Situation wird dank der unabhängig gewordenen afroasiatischen Welt nicht mehr eintreten. Es sei erinnert an die Abstimmung der Generalversammlung der UNO am 30. Oktober 1962, in welcher u. a. sämtliche skandinavischen Staaten (inkl. neutrales Schweden), Grossbritannien, die meisten indochinesischen Länder, ferner Indien und etliche Afrikaner zu Gunsten Rotchinas stimmten (trotz chinesischer Aggression gegen Indien).
c. Es könne nicht Sache der Schweiz sein, «bei derartigen Abstimmungen an politischen Auseinandersetzungen zwischen West und Ost teilzunehmen». Dieses Argument ist an sich richtig, aber es verliert an Gewicht, wenn wir uns daran erinnern, dass wir nur die Bundesrepublik Deutschland anerkennen und im Begriffe stehen, mit Südvietnam und Südkorea3 – unilaterale – Beziehungen aufzunehmen. Vom Moment an, wo wir nur einen Teilstaat4 anerkennen, besteht keine Veranlassung, nicht auch konsequent für ihn zu stimmen.
d. Das Argument, wir sollten uns gegenüber Rotchina der Stimme enthalten, weil wir uns auch gegenüber der DDR enthalten, übersieht die entscheidende Tatsache, dass das Pendant zu Rotchina im Falle Deutschland die Bundesrepublik ist. Die DDR-Situation entspricht derjenigen Formosas.
4. Schliesslich sei erwähnt, dass eine positive Einstellung gegenüber Rotchina uns ein gewisses Alibi im Ostblock verschaffen kann, falls uns vorgerechnet werden sollte, wir hätten im Falle Deutschland, Vietnam und Korea nur die antikommunistische Hälfte anerkannt.
II. Nationalchina
Grundsätzlich könnten wir gegen Formosa stimmen bzw. für dessen Ausschluss aus internationalen Gremien. Aus Gründen politischer Opportunität und mit Rücksicht auf immer noch existierende, wenn auch geringe schweizerische Interessen sollten wir uns jedoch stets enthalten. Dasselbe gilt in vermehrtem Masse – angesichts der erheblichen schweizerischen Interessen – für die DDR und wird inskünftig per analogiam auch für Nordvietnam und Nordkorea zu gelten haben. Diese «Enthaltungsdoktrin» ist im übrigen auch geeignet, weitgehend dem Vorwurf zu begegnen, wir nähmen Stellung zu politischen Auseinandersetzungen zwischen West und Ost.
- 1
- E 2001-01(E)1987/78/484. Paraphe: JR. Dieser Bericht wurde von A. Janner verfasst und unterzeichnet.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 13, dodis.ch/18909.↩
- 4
- Zur Verhaltensweise der Schweiz in ihren Beziehungen mit politisch geteilten Staaten vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 148, dodis.ch/15235(dodis.ch/15235).↩