Language: English
2006
BETWEEN BOMBS AND GOOD INTENTIONS. The International Committee of the Red Cross (ICRC) and the Italo-Ethiopian war, 1935-1936, Rainer Baudendistel. With a Foreword by Angelo Del Boca. 360 pages, bibliog., index, 1 map, 58 photos, 3 tables, ISBN 1-84545-035-3 Hb
Bibliographical reference (Bib)
http://www.berghahnbooks.com/title.php?rowtag=BaudendistelBetween:
"The wars in Afghanistan and Iraq have highlighted again the precarious situation aid agencies find themselves in, caught as they are between the firing lines of the hostile parties, as they are trying to alleviate the plight of the civilian populations. This book offers an illuminating case study from a previous conflict, the Italo-Ethiopian war of 1935-36, and of the humanitarian operation of the Red Cross during this period. Based on fresh material from Red Cross and Italian military archives, the author examines highly controversial subjects such as the Italian bombings of Red Cross field hospitals, the treatment of Prisoners of War by the two belligerents; and the effects of Fascist Italy's massive use of poison gas against the Ethiopians. He shows how Mussolini and his ruthless regime, throughout the seven-month war, manipulated the International Committee of the Red Cross (ICRC) - the lead organization of the Red Cross in times of war - helped by the surprising political naïveté of its board. During this war the ICRC redefined its role in a debate, which is fascinating not least because of its relevance to current events, about the nature of humanitarian action. The organization decided to concern itself exclusively with matters falling under the Geneva Conventions and to give priority to bringing relief over expressing protest. It was a decision that should have far-reaching consequences, particularly for the period of World War II and the fate of Jews in Nazi concentration camps."

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Cf. NZZ du 8.10.2006
Das Rote Kreuz in Abessinien
Bereits im italienischen Abessinienfeldzug fand das IKRK zu einem betont nüchternen Selbstverständnis

Rainer Baudendistel: Between Bombs and Good Intentions. The Red Cross and the Italo-Ethiopian War, 1935-1936. Berghan Books, New York, Oxford 2006. 342 Seiten,

Von Paul Stauffer

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) immer wieder vorgeworfen, angesichts der grauenhaften Untaten des NS-Regimes geschwiegen und das moralische Mahner- und Wächteramt nicht ausgeübt zu haben, das ihm die internationale öffentliche Meinung weithin zuerkannte. Der langjährige IKRK-Präsident Max Huber suchte diese Kritik mit der Feststellung zurückzuweisen, die Genfer Institution habe selbst nie beansprucht, primär als moralische Instanz und Verfechterin hehrer humanitärer Prinzipien betrachtet zu werden. Vielmehr habe sich das Komitee «für den Primat tatsächlicher Hilfsarbeit» entscheiden müssen: «Das Rote Kreuz ist seinem Wesen nach ein Hilfswerk, nicht ein internationales Tribunal.» Es verstand sich als Anwalt nicht eines hochfliegenden Humanitätsideals, sondern - konkret und pragmatisch - des in den Genfer Konventionen kodifizierten humanitären Völkerrechts.

In einer Darstellung von bewundernswert solider Fundiertheit hinsichtlich der Quellen erinnert der Historiker, Ostafrika-Kenner und ehemalige IKRK-Delegierte Rainer Baudendistel daran, dass das Genfer Komitee nicht erst in der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu diesem restriktiven, betont nüchternen Selbstverständnis gelangt war. Anlass zu einer realistischen, aber tendenziell auch legalistischen Neudefinition seiner Rolle hatten dem IKRK und seinem Präsidenten schon die Probleme geboten, mit denen man sich in Genf 1935/36 während des Eroberungsfeldzuges des faschistischen Italien gegen Abessinien konfrontiert sah. Kritik hatte damals, nebst dem Aggressionsakt als solchem, vor allem die völkerrechtswidrige Kampfführung der italienischen Streitkräfte hervorgerufen. Ihre Luftwaffe griff gegnerische Truppen, meist schlecht ausgerüstete Stammeskrieger, mehrmals mit Giftgas an und bombardierte wiederholt Feldspitäler, die mit dem Rotkreuzemblem deutlich gekennzeichnet waren.

Dank der Berichterstattung zweier nach Abessinien entsandter Delegierter, des Juristen Sidney Brown und des Mediziners Marcel Junod, war die Genfer Rotkreuzzentrale über das Geschehen sehr gut informiert. So alarmierend die Feststellungen dieser Beobachter auch waren, vermochten sie das Komitee doch längere Zeit nicht zu einem energischen Vorstelligwerden bei der italienischen Regierung zu motivieren. Immerhin begab sich Ende März 1936 eine Abordnung des IKRK nach Rom. In ihren Unterredungen mit Rotkreuz- und Behördenvertretern bis hin zum «Duce» beschwerten sich die Genfer Emissäre über die Missachtung des Rotkreuzzeichens durch die italienischen Kampfflieger. Deren Angriffe auf markierte Feldspitäler stellten eine klare Verletzung der Rotkreuzkonvention dar. Der italienische Giftgaseinsatz indessen, der gegen ein im Rahmen des Völkerbundes beschlossenes Protokoll - und nicht gegen Rotkreuzrecht - verstiess, blieb bei diesen Demarchen unerörtert. Etwas später weigerte sich das Komitee, unter Berufung auf seine Verpflichtung zu strikter Neutralität, einer Untersuchungskommission des Völkerbundes Einblick in Junods Augenzeugenberichte über den italienischen Gaskrieg zu gewähren. Diese Haltung stiess auf Unverständnis. Sidney Brown, der in Addis Abeba stationierte IKRK- Delegierte (aus der Badener Industriellenfamilie), rebellierte gegen das als leisetreterisch empfundene Verhalten seiner vorgesetzten Instanz. Er musste sein Aufbegehren mit der Entlassung aus dem Dienst der Genfer Institution bezahlen.

Zwar liess sich die hyperkorrekte Position des Komitees mit formaljuristischen Argumenten rechtfertigen. Ob aber ausschliesslich die von ihm ins Feld geführten subtilen völkerrechtlichen Erwägungen für seinen Kurs wegleitend waren, erschien schon zeitgenössischen Beobachtern fraglich. Manche bezichtigten das IKRK schlicht proitalienischer Voreingenommenheit.

Rainer Baudendistel lässt den Vorwurf in dieser summarischen Form nicht gelten. Aber er weist darauf hin, dass Komiteepräsident Max Huber und Aussenminister Giuseppe Motta einander in aussenpolitischen Fragen sehr nahe standen. Der Tessiner Motta war sehr auf die Pflege guter Beziehungen zum Nachbarn Italien bedacht. Er glaubte in ihm damals noch einen möglichen Protektor gegen den Expansionsdrang des Dritten Reiches sehen zu können. Durch den Anschein proabessinischen Engagements den Unmut Mussolinis zu erregen, verbot sich für die gutschweizerischen Mitglieder der Genfer Institution somit aus Gründen staatsbürgerlicher Verantwortung, wobei der Gedanke auch an das wirtschaftliche Wohlergehen des Landes dem einen und andern nicht fern gelegen haben mochte.

Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass sich eine generell antikolonialistische Einstellung im damaligen Europa - und auch in der Schweiz - noch keineswegs durchgesetzt hatte. Mitte der dreissiger Jahre des vorigen Jahrhunderts war man noch weithin geneigt, einen weissen Eroberer im schwarzen Afrika als Träger einer zivilisatorischen Mission wahrzunehmen. Wie Baudendistel zeigt, wusste die italienische Propaganda sich diesen latenten «Goodwill-Bonus» - gerade auch in Genf - geschickt zunutze zu machen.

Der Autor widersteht durchwegs der Versuchung, das Tun und Lassen von Akteuren der Zwischenkriegszeit simplifizierend nach heutigen Kriterien zu beurteilen. Seine Darstellung ist kritisch, aber nicht polemisch, und sie wartet mit einer beeindruckenden Fülle bisher unbekannter Fakten auf. Doch bei aller Genauigkeit im Detail vermittelt seine Untersuchung Einsichten, die über den zeitlichen und geographischen Rahmen des behandelten Geschehens hinausgreifen und auf die Jahre des Zweiten Weltkriegs vorausweisen.

Alt Botschafter Paul Stauffer ist Historiker und lebt in Bern.
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Compte rendu dans NZZ: 20.6.2008, Neue Zürcher Zeitung.
Cf.
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