Language: German
2005
Glur, Stefan, Vom besten Pferd im Stall zur persona non grata. Paul Ruegger als Schweizer Gesandter in Rom 1936-1942, Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2005.
Bibliographical reference (Bib)
cf. www.peterlang.com

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cf. Compte rendu par Georg Kreis dans la NZZ du 21.1.2006.
Auf Posten im faschistischen Italien
Die Tätigkeit des Schweizer Botschafters Paul Ruegger 1936-1942

Der brüske Abgang Paul Rueggers, des schweizerischen Gesandten in Rom, im Januar 1942 hat seit je zu Spekulationen Anlass gegeben. Steckte mehr dahinter als die Verärgerung des faschistischen Regimes über die schweizerische Weigerung, mit einem grösseren Kredit zur Verfügung zu ...
Der brüske Abgang Paul Rueggers, des schweizerischen Gesandten in Rom, im Januar 1942 hat seit je zu Spekulationen Anlass gegeben. Steckte mehr dahinter als die Verärgerung des faschistischen Regimes über die schweizerische Weigerung, mit einem grösseren Kredit zur Verfügung zu stehen? Die Zürcher Dissertation von Stefan Glur liefert aufgrund eines intensiven Studiums insbesondere des im Archiv für Zeitgeschichte aufbewahrten Nachlasses des Gesandten, aber auch der Akten des italienischen Aussenministeriums und natürlich des Schweizerischen Bundesarchivs zu diesem Punkt wenig Neues - nach Edgar Bonjour (1970), Stephan Winkler (1992) und Benedikt Hauser (2001). Der Mehrwert dieser Arbeit besteht vor allem darin, dass sie einige wichtige Aspekte aus Rueggers Wirken in Italien (1936-1942) aufgreift und quellennah präsentiert.

«Pragmatisch» zum Abessinienkrieg
Man erfährt, dass Rueggers Mussolini-Bild stark von Bundesrat Motta, dem schweizerischen Aussenminister, geprägt gewesen sei; dass der Gesandte zum italienischen Königshaus grosse Sympathien gehabt, die genuinen Wurzeln des faschistischen Rassismus verkannt und diese nur als Kopie des deutschen Rassenwahns missverstanden habe; dass er sich im Feld der italienisch-schweizerischen Presseauseinandersetzungen «mit Anstand» geschlagen und dass er im italienischen Krieg gegen Abessinien in vollständiger Übereinstimmung mit Motta eine «ganz pragmatische» Haltung eingenommen habe, die sich eng an den schweizerischen Interessen (etwa den Arbeitsmöglichkeiten schweizerischer Landleute im annektierten Gebiet) orientiert habe. Ein Dauertraktandum scheint der Warentransit von Genua in die Schweiz gewesen zu sein.

Bei der Lektüre kann man viele aufschlussreiche Einzelheiten neu oder wieder zur Kenntnis nehmen. Zum Beispiel die schweizerische Genugtuung darüber, dass Italiens kolonialer Expansionsdrang in Richtung Afrika den irredentistischen Druck auf das Tessin dämpfen werde. Oder dass Italien die «Landi 39» wegen der Manifestation des Wehrwillens boykottierte und eine offizielle Zürcher Delegation, die mit der Swissair nach Rom flog, daran nichts zu ändern vermochte. Sozusagen nebenbei erfährt man auch, dass sich 1934 ein faschistenfreundlicher «Club Elvetico» von der offiziellen Auslandschweizerkolonie in Mailand abspaltete und die Schweizerschule in Mailand 1938 jüdische Schulkinder vom Unterricht suspendierte, um nicht der anderen italienischen Schulkundschaft verlustig zu gehen. Ruegger erscheint als eifrige Stütze von Rothmunds Flüchtlingspolitik. Im November 1938 regte auch er ein «signe spécial» für die Pässe italienischer Juden an.

Der Verfasser spart nicht mit Kritik. Bei Divergenzen habe sich die schweizerische Diplomatie «in behender Geschwindigkeit» den italienischen Wünschen angepasst. Die Haltung in der Flüchtlingsfrage wird einerseits als «unbedingt patriotisch», anderseits aber auch - mit Adolf Muschg - als «teilnahmsfern» charakterisiert. Es brauchte den unfreiwilligen Abstand vom Diplomatenmetier und die temporäre Randständigkeit nach der Rückkehr in die Schweiz, dass Ruegger - bei dem von deutschen Truppen verübten Massaker im tschechischen Lidice - angemessene Worte zu solchen Greueln fand. Es bleibt offen, zu welchen Anteilen das Wirken des Gesandten in Rom durch das vorherrschende Berufsverständnis, durch die besondere Lage der Schweiz, durch Mottas Erwartungen oder durch Rueggers persönliche Haltung geprägt war.

Katholischer Traditionalist
Die Beziehungen zu Mottas Nachfolger im Politischen Departement waren schwierig, obwohl in den zentralen Fragen wohl kaum grundsätzliche Differenzen bestanden. Ruegger lobte Pilet-Golaz' berüchtigte Radiorede vom Juni 1940 als «beau discours». Näher stand dem katholischen Traditionalisten der katholisch-konservative Bundesrat Etter. Ruegger setzte sich bereits 1940 beim Vatikan für die Heiligsprechung des «Bienheureux Nicolas de Flue» ein. Ein permanenter Widersacher war der als Intrigant und Scharfmacher präsentierte Attilio Tamaro, der italienische Gesandte in Bern. Für Ruegger war es besonders bitter, dass der Bundesrat nicht den Mut aufbrachte, den doch willkürlichen Rauswurf seines Gesandten in Rom mit einer entsprechenden Retorsionsmassnahme zu beantworten.

Die zum Teil etwas ungelenk daherkommende, alles in allem aber um angemessene Einschätzungen bemühte Darstellung schliesst mit einem Kapitel zu Rueggers Reaktionen auf seine Rückberufung. Besonders pikant ist, dass sich der zutiefst verletzte Diplomat im Sommer 1942 an den General wandte und angesichts der versagenden Zivilbehörde von ihm Unterstützung erwartete.

Georg Kreis

Stefan Glur: Vom besten Pferd im Stall zur Persona non grata. Paul Ruegger als Schweizer Gesandter in Rom 1936-1942. Verlag Peter Lang, Bern 2005.
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