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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 20, doc. 114
volume linkZürich/Locarno/Genève 2004
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2801#1968/84#54* | |
Old classification | CH-BAR E 2801(-)1968/84 22 | |
Dossier title | Norwegen - Woche 1958 (Ha 14) (1958–1958) |
dodis.ch/11795
Der schweizerische Gesandte in Oslo, O. Seifert, an den Delegierten des Bundesrates für Spezialaufgaben, W. Stucki1
Ihre am 12. hier eingetroffene Anfrage vom 8. April2 musste über die in Oslo sich fast über eine Woche erstreckenden Osterfeiertage liegen bleiben, kann aber leider auch heute von mir noch nicht so eingehend beantwortet werden, wie mir dies erwünscht wäre.
Von der Initiative einiger Freunde Norwegens in Bern hatte ich, wie Sie zutreffend vermuten, von Anfang an Kenntnis, denn auf Wunsch Konzertmeister Brenners3, den man hier in freundschaftlichem Andenken behalten hat und der, hier zuverlässige Freunde besitzt, hatte ich mich indirekt und aus dem Hintergrunde erkundigt, wie von der zuständigen Stelle des Aussenministeriums, der Abteilung für kulturellen Verkehr mit dem Ausland, das Vorhaben beurteilt wird und gegebenenfalls bis zu welchem Ausmass es unterstützt würde. Die Entscheidung fiel nach mühsamen internen Beratungen im grossen und ganzen positiv aus, aber entsprechend den engen finanziellen Schranken, in welchen sich die norwegische Kulturwerbung im Ausland zu bewegen hat und die sich leider besonders auf Länder auswirken, mit denen keine Kulturabkommen bestehen, konnte nur eine bescheidene Summe (wenn ich mich recht erinnere 8000 norw. Kronen) in Aussicht gestellt werden, zu der anscheinend noch die Reisespesen für eventuell eingeladene Künstler oder Orchesterdirigenten hinzukommen könnten.
Seither habe ich von der Sache bis zum Erhalt Ihres Briefes nichts mehr gehört, freue mich nun aber, dass es den Initianten gelungen ist, eine so bedeutende Persönlichkeit wie Sie für dieses mir selbst so sehr sympathische und willkommene Vorhaben zu interessieren.
Wenn Sie mir gestatten, diesen Ausdruck zu gebrauchen, möchte ich gleich klar sagen, dass ich in der Sache noch keineswegs irgendwie «kompromittiert» bin und jede Möglichkeit habe, hier die Rolle zu spielen, die Sie mir zu übertragen gedenken. Bevor ich aber im Sinne Ihrer Darlegungen etwas unternehme, möchte ich mir erlauben, auf einige besondere Aspekte hinzuweisen, die nach meinem Dafürhalten das schweizerisch-norwegische Verhältnis charakterisieren:
1. Die Norweger sind grossem Getue abhold, neigen zur «Untertreibung» und richten ihren Blick über die Meere nach Grossbritannien, Nordamerika und dem Fernen Osten bei geringerem Interesse für Kontinentaleuropa, das sie, in seinem südlichen Teil, meistens als Künstler oder als Freiluftliebhaber anzieht, oder aber in seinem Zentralgebiet als Wissenschafter beschäftigt.
2. Von einer eigentlichen Popularität der Schweiz kann hier, anders als in Schweden, Finnland und Dänemark, kaum etwas gespürt werden, wenn uns auch seitens der Behörden und der massgebenden Intellektuellen und Wirtschaftskreise grosse Sympathie entgegengebracht wird.
3. In handelspolitischer Beziehung brauche ich Ihnen keine Aufklärungen zu geben. Norwegen importierte von uns 1956 mehr als doppelt so viel, als es nach der Schweiz exportierte, und seine Industrie bzw. Exportwirtschaft hat im jetzigen Entwicklungsstadium kaum Aussicht, den Absatz norwegischer Produkte in der Schweiz zu vergrössern4.
4. Norwegen ist selbst in gewisser Beziehung «unterentwickelt» und dürfte somit der schweizerischen Technik und dem schweizerischen Kapitalmarkt interessante Betätigungsmöglichkeiten bieten.
Wenn es nun, wie Sie richtig bemerken, von unserem Standpunkt aus gesehen, normal wäre, beim uns beschäftigenden Vorhaben eine norwegische Initiative zu erwarten, so könnte man vielleicht auf Grund der in den vorstehenden vier Punkten zusammengefassten Gegebenheiten es für verständlich erachten, wenn man sich hier einer wohlwollend abwartenden freundlich zunickenden Haltung befleissigt.
Meines Erachtens besteht aber ein eminent schweizerisches Interesse an einer Intensivierung der gegenseitigen Beziehungen, und ich kann Ihnen auch versichern, dass beispielsweise im Aussenministerium im engsten Mitarbeiterkreis Langes die Schaffung engerer und herzlicherer Bande zur Schweiz als ein dringendes Bedürfnis empfunden wird. In diesem Sinne war angeregt worden, für Herrn Aussenminister Lange eine Einladung zu einem Vortrag in der Schweiz mit anschliessendem Besuch in Bern zustande zu bringen, aber es scheint, dass Herr Generalsekretär Dr. Kohli, mit dem Sie vielleicht Fühlung zu nehmen belieben, den Plan schwer realisierbar findet5. Wenn die geplanten Veranstaltungen durchgeführt werden können, würde sich Lange bestimmt für ein persönliches Erscheinen gewinnen lassen.
Es kommt also letzten Endes darauf an, ob schweizerischerseits mit genügenden Geldmitteln nachgeholfen werden könnte; bejahendenfalls liesse sich auch die Munch-Ausstellung6 bewerkstelligen und manches andere interessante Projekt verwirklichen. Es fehlt in Norwegen auch nicht an hochbegabten modernen Komponisten, die im Ausland noch wenig bekannt sind, aber bestimmt auch bei uns Erfolg hätten. Auch könnten zwei oder drei Orchesterdirigenten gestellt werden, vielleicht auch eine Sängerin. Instrumentalisten sind hingegen mit Ausnahme eines in Amerika lebenden Pianisten m. W. weniger «exportfähig», wohingegen die norwegischen Schauspieler wieder besonderes Interesse verdienen (ich verweise auf einige vollausverkaufte norwegische Ibsen-Aufführungen im Burgtheater Wien).
Zusammenfassend möchte ich zum Schluss kommen, dass die Ihnen unterbreitete Initiative, falls sie den Eindruck einer spontanen Freundschaftskundgebung schweizerischer Kreise für Norwegen erwecken könnte, auf vollstes Interesse und weitgehende Unterstützung des Aussen-7 und des Unterrichtsministers8 zählen könnte.
Hingegen fragt sich, ob an Stelle der etwas pompös klingenden «Norwegen-Woche»9 nicht eine andere, norwegischer Bescheidenheit angemessenere Form für die Veranstaltung zu finden wäre, die sich auf eine künstlerische Manifestation (Munch-Ausstellung, Konzerte und Theater) beschränken könnte.
Ich bin überzeugt, dass es Ihnen, hochverehrter Herr Minister, gelingen wird, diese Initiative in die richtige Bahn zu lenken und auch die zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Mittel zu finden. Es ist mir eine besondere Genugtuung, diese für unsere Interessen in und unsere Beziehungen zu Norwegen so bedeutsame Angelegenheit in Ihren Händen zu wissen, und ich möchte Ihnen an dieser Stelle den Ausdruck meines wärmsten Dankes für alle Ihre Bemühungen entbieten10.
- 1
- Schreiben: E 2801(-)1968/84/22.↩
- 2
- Vgl. das Schreiben von W. Stucki an O. Seifert vom 8. April 1957, E 2200.209(-)1972/ 170/9.↩
- 3
- Vgl. das Schreiben von R. A. Brenner an O. Seifert vom 8. Januar 1957, E 2200.209(-) 1972/170/9.↩
- 4
- Im Jahr 1956 importierte Norwegen für 96 Mio. Kronen Güter aus der Schweiz, während sich die Ausfuhren nach der Schweiz auf 45 Mio. Kronen beliefen, vgl. den Bericht von W. WildDer Norwegische Aussenhandel im Jahre 1956 vom 5. Februar 1957, E 7110(-) 1970/112/109.↩
- 5
- Der norwegische Aussenminister H. Lange hielt am 18. März 1959 in Zürich einen Vortrag über die Nordische Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet und die europäischen Integrationsbestrebungen, vgl. E 2001(E)1972/33/89.↩
- 6
- Eine E. Munch-Ausstellung wird für den Herbst 1958 in Aussicht gestellt, vgl. das Schreiben von O. Seifert an W. Stucki vom 15. Mai 1957, nicht abgedruckt.↩
- 9
- Zur Diskussion über die Bezeichnung der kulturellen Veranstaltung vgl. das Schreiben von W. Stucki an O. Seifert vom 31. Mai 1957, E 2200.209(-)1972/170/9.In den darauffolgenden Dokumenten findet die Bezeichnung Norwegische Kulturwoche Verwendung.↩
- 10
- Die Norwegische Kulturwoche sollte vom 11 bis 20. Oktober 1958 stattfinden, vgl. das Schreiben von W. Stucki an O. Seifert vom 7. Februar 1958, E 2200.209(-)1972/170/9.Aus finanziellen Gründen musste aber mit Ausnahme der E. Munch-Ausstellung auf alle weiteren Veranstaltungen (Konzert, Filmvorführung, Theater) verzichtet werden, vgl. die Schreiben von W. Stucki an H. A. Broch vom 16. Juni 1958 und an O. Seifert vom 25. Juni 1958, nicht abgedruckt. Als Gegenleistung für die E. Munch-Ausstellung, welche vom 7. Oktober bis 30. November 1958 im Berner Kunstmuseum stattfand, durften Bergens Billedgalleri vom 27. September bis 2. November 1958 und das Kunstnernes Hus in Oslo vom 14. November bis 7. Dezember 1958 Bilder von P. Klee ausstellen.↩
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