dodis.ch/11457 Der schweizerische Geschäftsträger a. i. in
Köln, H.-
K. Frey, an den Vorsteher des politischen Departements,
M. Petitpierre1 ABBRUCH DER DIPLOMATISCHEN BEZIEHUNGEN MIT JUGOSLAWIEN
Köln-Bayenthal, 21. Oktober 1957
Ich hatte Ihnen am 17. Oktober (P. B. Nr. 35/36) berichtet2, dass die Bundesregierung in jenem Moment noch keinen Entscheid getroffen hatte und nach einer Lösung suchte, die die geplante Aktivierung der Ostpolitik nicht gefährde.
Wie ich heute vom Chef der Ostabteilung im Auswärtigen Amt, Herrn Knoke, vernahm, trat der Umschwung ein, als Staatssekretär Hallstein aus Paris zurückkam und meldete, die Nato-Vertreter erhöben keine Einwendungen gegen einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen, sondern erklärten dies zu einer rein deutschen Angelegenheit. Selbst der Vertreter Griechenlands, das als Mitglied des Balkan-Paktes besonders interessiert ist, sprach sich nicht gegen einen Abbruch aus. K. fügte bei, es wäre natürlich für die Nato-Mächte schwierig gewesen, einen anderen Standpunkt einzunehmen, da dies von der öffentlichen Meinung in Deutschland leicht als Einmischung hätte verstanden werden können. Mit anderen Worten: Die Bündnis-Partner zeigten in Paris Verständnis, wollten aber die Verantwortung nicht mittragen.
Gestützt hierauf hat sich die Bundesregierung zu ihrem folgenschweren Entschluss unter Führung des Aussenministers durchgerungen: Die Hauptargumente sind:
1. Die Bundesregierung hat gegenüber Jugoslawien wieder holt mit dem Abbruch der Beziehungen gedroht; wenn man der Drohung nun nicht die Tat folgen liesse, so wäre dies geradezu eine Einladung für «Zögernde», es gleich zu tun.
2. Wenn die Bundesregierung es zuliesse, dass Staaten, die mit der Bundesrepublik in diplomatischen Beziehungen stehen, das Pankow-Regime anerkenne, gäbe sie das Prinzip des einzig legitimen deutschen Staates auf und stellte sich selber auf den Boden des Zweistaatensystems.
3. Hieraus müssten die anderen Länder schliessen, der Bundesregierung sei es mit der Wiedervereinigung nicht wirklich ernst.
4. Der Abbruch der Beziehungen zu einem Staat, der neben seiner Vertretung in Bonn nun auch eine in Ostberlin installieren will, hindere die Bundesrepublik nicht, ihrerseits Beziehungen zu Staaten anzuknüpfen, die «von Geburt an» diplomatische Beziehungen mit der Deutschen Demokratischen Republik unterhielten, wie Polen, Tschechoslowakei etc.
Mit dem Abbruchentscheid in der Tasche, stellte sich der Aussenminister am 18. Oktober einer interfraktionellen Kommission, wo von den Sozialdemokraten (Ollenhauer und Professor Carlo Schmid) und von den Freien Demokraten (ex-Bundesminister Dehler) die seither in der Presse erschienenen Bedenken vorgebracht wurden. Auch der Bundestagspräsident Gerstenmaier gehörte zu jenen, die die Richtigkeit eines harten Kurses bezweifelten. Er soll sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten haben.
Der jugoslawische Botschafter3 ist gestern früh abgereist. Sein gesamtes Personal, insbesondere Geschäftsträger Jovic sind noch hier. Eine Frist zur Ausreise wurde ihnen nicht gesetzt; sie können sich weiter in aller Freiheit bewegen. Wer ihre Interessen hier wahrnimmt, ist noch unbekannt. K. meint, die Jugoslawen wären gut beraten, wenn sie eine der beiden traditionellen Schutzmächte – die Schweiz oder Schweden – nähmen. Auf jeden Fall würde man dies hier begrüssen. Was die Vertretung der deutschen Interessen in Jugoslawien betrifft, so habe man sich auch überlegt, die Schweiz zu fragen, aber der Entscheid sei dann auf Frankreich gefallen, um so einen «erwünschten politischen Nebeneffekt» zu erzielen. Frankreich als Deutschlands Schutzmacht markiert besser als manches andere den gemeinsamen Weg der beiden kontinentalen Hauptländer.
Zum Abbruchentschluss sagte mir K. ganz vertraulich, man habe sich nun leider in den «Stricken einer seit langem verfehlten Politik verfangen». Eine Präzisierung dieser resignierten Feststellung gab er nicht. Ich weiss, dass die Länderabteilung seit langem an der Richtigkeit der Einstaat-Theorie zweifelt, entgegen dem Aussenminister und seinen beiden Völkerrechts-Professoren Hallstein und Grewe, die konsequent davon ausgehen, dass die sogenannte Deutsche Demokratische Republik nicht den Charakter eines Völkerrechtssubjekts habe. Man kann heute nicht mehr sagen, dass dies ein allgemein anerkannter Grundsatz sei. Gerstenmaier bemerkte vor dem interfraktionellen Ausschuss, dies sei nur ein Satz, der immer wieder zitiert wurde, sodass er heute als Grundsatz gelte.
K. meint, das Belgrad über die deutsche Reaktion überrascht ist. Als Bonn nach der bekannten Tischrede Titos nicht reagierte, scheine man in Belgrad geglaubt zu haben, Bonn werde es nicht zum Äussersten kommen lassen. Diese Ansicht wurde durch die Beurteilung der hiesigen Botschaft gestützt, die aus dem Stimmungswandel der öffentlichen Meinung und insbesondere aus den Kommentaren der führenden Blätter den unrichtigen Schluss zogen, die Bundesregierung habe sich bereits für eine grundlegende Änderung der Ostpolitik entschieden. Dies war aber verfrüht. Der Ausfall von Botschafter Pfleiderer sei neben dem Persönlichen auch deshalb äusserst bedauerlich, weil die Bundesregierung ohne Botschafter in Belgrad kein diplomatisches Rückzugsgefecht mehr liefern konnte.
Was wird nun geschehen? Nach K. will man nicht alle Brücken abbrechen. Vielleicht wird man über Abwicklungsstellen der Botschaften, aus denen so etwas wie Handelsmissionen entstehen könnten, den beidseitigen Kontakt einigermassen fortführen. Eine Kündigung des Wiedergutmachungsabkommens ist nicht beabsichtigt. So besteht doch noch Hoffnung, allfällige nachteilige Wirkungen, die für die Bundesrepublik aus dem Abbruch entstehen könnten, abzuwenden.